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@grar.de Aktuell - 15.01.2004

Kritischer Agrarbericht 2004: Umsonst kann die Landwirtschaft nichts bieten

Große Widersprüche zwischen den gesellschaftlichen Ansprüchen an die Landwirtschaft und den Möglichkeiten einzelner Höfe


Berlin (agrar.de) - Die Landwirte haben den Eindruck, dass ihre Arbeit und ihre
vielfältigen Leistungen von der Gesellschaft nicht wertgeschätzt werden.
Entsprechend ungewiss ist die Zukunft für viele Höfe - trotz der politisch
propagierten 'Wende' in der Landwirtschaft. Das ist das Fazit des Agrar­Bündnis,
das auf der Internationalen Grünen Woche seinen 'Kritischen Agrarbericht 2004'
mit dem Schwerpunkt 'Arbeit und Soziales' vorgestellt hat. Andrea Fink-Keßler
vom Redaktionsteam machte deutlich, dass es dem AgrarBündnis nicht allein um
die - im letzten Jahr wirklich prekäre - ökonomische Situation in der
Landwirtschaft gehe. Geldsorgen seien das eine. Das Gefühl, dass die eigene
Arbeit 'umsonst' ist, dass sie von der Gesellschaft nicht wertgeschätzt wird,
das andere - und vielleicht noch Entscheidendere.

Signale des Marktes schränken kreative Entwicklungsmöglichkeiten ein

Vorstandssprecher Friedrich von Homeyer ging ebenfalls auf diese Situation ein.
Es gehe nicht allen Betrieben schlecht. 'Aber die ökonomischen Rahmenbedingungen
drängen die Bauern zu Wirtschaftsformen, die einerseits nur vom sogenannten
Markt - d.h. vom gewinn- und umsatzorientierten Handel - bestimmt werden.
Andererseits werden sie durch staatliche Auflagen und Verordnungen bedrängt. Das
eigene Selbstverständnis, die eigene Kreativität in der Verantwortung für die
Pflege der Natur und die Lebensmittelqualität geraten ins Abseits. Nicht einmal
das Anliegen von 80 Prozent der Bevölkerung und der Landwirte - Lebensmittel und
Landwirtschaft ohne Gentechnik - kann wirtschaftlichen Interessen gegenüber
durchgesetzt werden.' Und die sich aus dem Einsatz der Gentechnik ergebenden
Schäden und Kosten würden noch nicht einmal eindeutig den Verursachern
angelastet. So gesehen sei der 'selbständige Landwirt' eine Illusion.

Agrarreform: 'Entkoppelung' ist nur der erste Schritt. Preise, Leistungen und
Ansprüche müssen neu verhandelt werden.

Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
bäuerliche Landwirtschaft, ging auf die aktuelle Diskussion zur Agrarreform ein:
Die Entkoppelung von Produktionsmenge und Höhe der staatlichen Prämien sei ein
erster Schritt in die richtige Richtung. 'Die Preise unserer Lebensmittel sind
die Entlohnung der bäuerlichen Arbeit. In dem Transfer öffentlicher Mittel muss
die geleistete bäuerliche Arbeit Berücksichtigung finden.' Die längst fällige
Neuverteilung der Prämien und ihre Bindung an soziale sowie ökologische
Kriterien müsse nun auf nationaler Ebene erstritten werden: 'Sonst verkommt die
Prämie zur feudalen Leibrente.'

Die neue Entwicklung bringe aber auch 'mehr Markt in der Landwirtschaft'. Für
die Höfe heiße dies 'mehr Mut zu Differenz und Vielfalt'. Für die Politik
bedeute es, mehr Demokratie in der Wirtschaft zu schaffen. Auch darum werde
gestritten werden müssen.

Entscheidungsfreiheit bei Gentechnik muss möglich bleiben

Graefe zu Baringdorf sprach sich dafür aus, dass Bauern und Verbrauchern bei der
Gentechnik die Wahlfreiheit erhalten bleibt. Für viele Regionen könne die
wirtschaftlichste und konsequenteste Form der Koexistenz darin bestehen, frei
von Gentechnik zu bleiben. Auch das sei praktizierte Wahlfreiheit: 'Wie immer
man zur Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft stehen mag, es ist für
alle wichtig, dass gentechnikfreies Saatgut und gentechnikfreie Lebensmittel
sich in der Lebensmittelerzeugung und auf den Märkten ohne Einschränkung
behaupten und weiterentwickeln können.'

Beim neuen Gentechnikgesetz kritisierte der AbL-Vorsitzende u.a. die Frage der
Haftungsregelung. Nicht die Gentechnik-Hersteller werden haftbar gemacht,
sondern geschädigte Landwirte müssen Klage vor einem Zivilgericht einreichen.
'Wir wollen nicht, dass die multinationalen Gentechnikkonzerne, die die
Ernährung vom Acker bis zum Teller durch Gentechnik in den Griff bekommen
wollen, unbehelligt ihre Produkte auf den europäischen Markt ausbreiten können -
sie sind für Schäden haftbar zu machen und haben einen Schadensfonds
einzurichten.'

Billige Lebensmittel: ohne Qualität und schädlich für Umwelt- und Tierschutz

Professor Hubert Weiger vom Bund für Umwelt und Naturschutz machte deutlich,
dass die - besonders in der Milchwirtschaft - drastisch sinkenden Erzeugerpreise
einer nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft in Deutschland
entgegenwirkten. Im Umwelt- und Tierschutz seien wegen des Preiskampfes der
Discounter Rückschritte zu verzeichnen. Die Landwirte würden zu immer mehr
Rationalisierungen im Ackerbau und in der Nutztierhaltung gedrängt. Ergebnis
sei, dass einerseits auch der Ökolandbau unter Preisdruck gerate. Andererseits
hielten Großinvestoren immer öfter über 80.000 Schweine in einer einzigen
DDR-Stallruine unter industriellen Bedingungen - wie es beispielsweise in
Hassleben in der Uckermark geplant sei. 'Billigmilch, Pestizid-Paprika zu
Schleuderpreisen und Schnäppchen-Schinken bremsen den Ökolandbau aus.
Verbrauchern wird vorgegaukelt, Landwirtschaft sei billig zu haben. Für
Discount-Preise gibt es langfristig aber nur denaturierte, gesundheitsschädliche
Industrieprodukte zu kaufen,' mahnte Weiger.

Anlässlich des in dieser Woche vorgelegten Entwurfes für ein Gentechnikgesetz
warnte Hubert Weiger nachdrücklich: 'Wenn das Gesetz nicht entscheidend
nachgebessert wird, stirbt der gentechnikfreie Landbau den Tod auf Raten.'

Der Kritische Agrarbericht (ISBN 3-930 413-25-6) kann für 19,80 Euro plus
Versandkosten bestellt werden beim ABL-Verlag, Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm, Tel.:
02381/-492288, Fax: 02381-492221, E-Mail

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