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@grar.de Aktuell - 04.12.2003

DBV-Perspektivforum: Intensive Diskussion über Flächenverbrauch und Landwirtschaft

Ergebnisse aus dem Perspektivforum des Bauernverbandes


Berlin (agrar.de) - Die Zahlen sprechen für sich: Jeden Tag werden in der
Bundesrepublik 105 Hektar für Siedlungs- und Verkehrstätigkeit verbraucht, was
der Größenordnung von zwei bis drei Familienbetrieben entspricht. Jede Sekunde
verschwinden 15 Quadratmeter fruchtbarer Ackerboden von der Bildfläche, das sind
auf ein Jahr hochgerechnet rund 50.000 Fußballfelder oder 0,27 Prozent der
landwirtschaftlichen Nutzfläche. Gleichzeitig aber liegen schätzungsweise 70.000
Hektar Industrieflächen brach. Immer wieder tauchen Begriffe auf wie Eingriff,
Ausgleich, Öko-Konten und Flächenpool. Namhafte Experten gingen jetzt auf einem
Perspektivforum des Deutschen Bauernverbandes (DBV) in Berlin der Frage
nach, wie man durch intelligentes Flächenmanagement wertvollen Boden 'retten'
kann.

Die Landwirtschaft sieht sich von vielen Seiten unter Druck, was die
Begehrlichkeiten nach Flächen angeht: Gewerbebetriebe, Wohnsiedlungen,
Freizeiteinrichtungen und Infrastrukturmaßnahmen wie Telefon- und
Wasserleitungen stehen ganz oben auf der Liste. Ganz zu schweigen von den
Flächen, die für naturschutzfachliche Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen der so
genannten Eingriffsregelung der Landwirtschaft verloren gehen. Der Präsident des
DBV, Gerd Sonnleitner, räumte ein, 'dass zwei Herzen in meiner Brust schlagen'.

Einerseits wolle er den Verbrauch an Flächen im Sinne des Ressourcenschutzes
reduziert sehen, andererseits wünsche er sich prosperierende ländliche Räume,
die keinesfalls zu bloßen Resträumen mit ökologischer Ausgleichsfunktion für
städtische Ballungsräume degradiert werden dürfen. Nach den Worten des
Bauernpräsidenten sollte darüber nachgedacht werden, ob in Natur und Landschaft
geschlagene Wunden unbedingt zeitgleich und an der gleichen Stelle geheilt
werden müssen. Sonnleitner sprach sich deshalb auch für eine weitere
Flexibilisierung der Eingriffsregelung aus, d.h. einer zeitlichen und räumlichen
Trennung der Maßnahmen. Möglich bleiben sollte die Landbewirtschaftung bei
gleichzeitiger Erfüllung von Leistungen für den Naturschutz. So könnte die
Anlage von Blühstreifen einen Beitrag für den Naturschutz liefern und
gleichzeitig den Flächenverbrauch für die Landwirtschaft verringern.

Gegenwärtig deutet zwar alles auf eine allmähliche Abschwächung des immensen
Flächenverbrauchs hin, was jedoch weniger eine echte Trendwende darstelle,
sondern vielmehr auf die gegenwärtig schwächelnde Konjunktur zurückzuführen sei,
so Siegfried Bauer, Professor für Projekt- und Regionalplanung an der
Universität Gießen. Um Konflikte auf kommunaler Ebene zu vermeiden, sprach sich
Bauer dafür aus, Landwirte möglichst früh in den Verfahrensablauf einzubeziehen.
Im Übrigen hält er nicht viel von der Eigenheimzulage, die seiner Ansicht nach
nicht ausschlaggebend dafür ist, ob eine junge Familie mit zwei Kindern auf die
grüne Wiese zieht. Aufgrund des demographischen Faktors werde der Bau-Druck im
ländlichen Raum zumindest partiell etwas nachlassen, sagte Bauer.

Ein ausgesprochen ehrgeiziges Ziel ist für Jochen Flasbarth die Reduzierung des
Flächenverbrauchs von gegenwärtig 105 Hektar am Tag auf 30 Hektar im Jahre 2020.
'Wir müssen deshalb alle Möglichkeiten der Kooperation nutzen', sagte der Leiter
der Naturschutzabteilung im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (BMU). Dabei verwies Flasbarth auf den Bauminister, 'der
sämtliche Instrumente in der Hand hat, um zu diesem Ergebnis zu kommen'. Es
könne uns auf Dauer nicht gefallen, dass so viele Flächen verbraucht würden,
erklärte Flasbarth und fügte an, dass auch im Rahmen der Ausgleichsregelung
immer wieder eine 'Qualitätsüberprüfung' erfolgen müsse.

'Gelegentlich haben wir ja unterschiedliche Ansichten', meinte Flasbarth in
Anspielung auf den Bauernverband, 'aber gegen den Flächenverbrauch wollen wir
gemeinsam antreten und vor allem intelligente Lösungen suchen'. Vor allem aber
dürfe es künftig keine unsinnigen Ausgleichsmaßnahmen mehr geben, da die
Landwirte in Bezug auf die Eingriffsregelung ohnehin doppelte Verlierer seien.
Im Übrigen gehe es nicht immer nur um den Verlust von Lebensräumen, sondern auch
um eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. Nicht viel hält Flasbarth von
einer neuen Steuer, um den Flächenverbrauch einzudämmen. Für eine so genannte
Versiegelungsabgabe sei die Zeit noch nicht reif und würde gegenwärtig auch
nicht in die konjunkturelle Landschaft passen.

'Manchmal sind Landwirtschaft und Naturschutz näher beieinander als man glaubt',
betonte Olaf Tschimpke, Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), und
stellte zur Reduzierung des Flächenverbrauchs erst mal die rein rhetorische
Frage: 'Was sind denn sinnvolle Maßnahmen?' Es gehe vielfach auch um die
Zerschneidung der Landschaft, was von den Naturschützern und den Landwirten
kritisiert werde. Die Zersiedelung der ländlichen Räume habe, so Tschimpke, auch
mit einer falschen Steuerpolitik zu tun, 'die das alles eher fördert statt
bremst'. Er fordete deshalb kreative städtebauliche Ansätze. Generell hält
Tschimpke nichts davon, dass sich Landwirtschaft und Naturschutz bei der
Flächen-Diskussion gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben.

Am Beispiel des vom DBV initiierten Bördeprojekts in der 'Kölner Bucht'
erläuterte Professor Wolfgang Schumacher, Universität Bonn, wie Ziele des
Naturschutzes in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft erreicht werden können.
Die Ackernutzung wurde nach den Worten des Professors generell beibehalten,
gleichzeitig aber beispielsweise sechs Meter breite Krautsäume über eine Länge
von 100 Kilometer angelegt, um etwas für die Flora und Fauna zu tun. Die
naturschutzfachliche Ausgleichsregelung werde zur Finanzierung der Maßnahmen
herangezogen. Hierdurch könnte der Flächenverbrauch für die Landwirtschaft
ebenso verringert werden. Das Projekt ist auf drei Jahre konzipiert, danach
können die Landwirte den Vertrag entweder verlängern oder aber wieder frei über
ihre Flächen verfügen. Sowohl bei den Landwirten als auch in der Bevölkerung sei
das Vorhaben auf große Akzeptanz gestoßen, sagte Schumacher. Um aus dem
'Versuch' eine 'dauerhafte Lösung' zu machen, wurde inzwischen auch eine
Stiftung Rheinische Kulturlandschaft gegründet, aus deren Topf die
Umweltleistungen der Landwirte künftig finanziert werden sollen. Schumacher
räumte allerdings ein, dass man in der Börde mit normalen Honorarsätzen im
Rahmen des Vertragsnaturschutzes nicht auskomme.

Landwirt Ludger Hessling aus dem nordrhein-westfälischen Dorsten sammelt
Ökopunkte quasi auf Vorrat. Hessling bewirtschaftet einen 200-Hektar-Betrieb mit
Milchkühen, Jungvieh und Mutterkuhhaltung. Davon liegen 35 Hektar in einem
Naturschutzgebiet und 15 Hektar stecken im so genannten Flächen-Pool. Um sein
Konto aufzuwerten, hat Hessling Hecken und Feldgehölze angepflanzt sowie
Ackerland in extensives Grünland umgewandelt. Auf die Idee kam der
Vollerwerbslandwirt, als die Stadt Dorsten eines Tages bei der Suche nach
Ausgleichsflächen auf den Landwirt zukam. Über Details, was die Preise angeht,
kommentierte der Öko-Konto-Besitzer: 'Es ist ein Kuhhandel'.

Der ehemalige Präsident des Wuppertal-Institutes und heutiger Vorsitzende des
Umweltausschusses des Deutschen Bundestages, Professor Ernst Ulrich von
Weizsäcker, zeigte in seiner 'after dinner speech' die Tragweite des
Themenkomplexes Flächenverbrauch und Landwirtschaft auf. Er äußerte Sympathien
für den Ansatz der Ökopunkte, sofern der Mess- und Kontrollaufwand nicht zu groß
werde. Aber auch ein Prämiensystem, das die Ökologisierung der Landwirtschaft
immer rentabler mache, könne er sich vorstellen. Das ökologische Wissen
eingesessener Landwirte sei für ihn nicht überraschend. Kritik übte der Experte
jedoch am falschen Anreizsystem, bei dem Landwirte in erster Linie für
'Unterlassungen' prämiert würden - das sei psychologisch nicht aufbauend. Eine
Aufteilung der deutschen Flur in Naturschutz- und Landwirtschaftsbereiche lehnte
Weizsäcker ab. Vielmehr müsste beides auf der gleichen Fläche stattfinden: 'Mit
Phantasie und Mut sollte man das auch hinkriegen', so der Professor.

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