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@grar.de Aktuell - 24.10.2003

VDL: Drohende Betriebsprämie mästet Landlords und Rote Barone


Dittmansdorf (agrar.de) - Der ostdeutsche Privatbauernverband 'Deutsche
Landwirte (VDL) lehnt die 'Betriebsprämie' im Rahmen der EU-Agrarreform
ab. Dazu VDL-Präsident Dieter Tanneberger:

'Bis zum 01.08.2004 muss jeder Mitgliedsstaat der EU eine nationale Entscheidung
treffen über die Art der Entkopplung der Agrarförderung von der Produktion. Das
haben am 26.Juni 2003 die Agrarminister der Europäischen Union in Luxemburg zur
gemeinsamen Agrarpolitik beschlossen. Deutschland ist dabei eine
Einzelstaatliche Obergrenze (Art. 41) ab 2007 in Höhe von 5,4 Mrd. Euro
zugestanden worden.

Trifft Deutschland bis August nächsten Jahres keine nationale Entscheidung,
würde das 'Betriebsmodell' der EU-Agrarministerkonferenz greifen, d.h. es würden
dann alle Tier- und Flächenprämien unabhängig von der Produktion in Form einer
'Betriebsprämie' gezahlt und auf der Grundlage des Prämiensacks der
'historischen' Jahre 2000, 2001 und 2002 dauerhaft gemacht werden. Die
Verpächter verlören jeden Anspruch. Die Luxemburger Beschlüsse sehen keine (!)
Flächenprämie vor, die an die Nutzung der Fläche gebunden ist.

Die großen Gewinner der Betriebsprämie

Das wirkt auf den ersten Blick für die privatwirtschaftlich organisierte
westdeutsche Landwirtschaft und auf die ostdeutschen Wiedereinrichter nicht
sonderlich dramatisch. Würde doch jeder bäuerliche Betrieb in Deutschland in den
kommenden Jahren zumindest das an Prämien erhalten, was er schon in den
'historischen Jahren' erhalten hatte. Im Osten Deutschlands sind aber die
riesigen LPG-Nachfolger mit im Rennen, auch große 'Wessis' und Niederländer, mit
Tausenden Hektar Land und 1.000, 2.000 und 4.000 Milchkühen in einer Anlage,
oder mit 5.000, 10.000 und bis 25.000 Mastrindern aus DDR-überkommenen
'Industriemäßig produzierenden Anlagen' (IPA) und 'Kombinaten Industrieller
Mast' (KIM). Die Landlords aus dem Westen und die Roten Barone könnten sich dann
jährlich die fetten 'Prämiensäcke' füllen und die flächenarmen Wiedereinrichter
im Osten, aber auch die westdeutschen Familienbetriebe zu den großen Verlierern
der Reform machen.

Die Agrarfabriken in Deutschland

Der größte Teil der (west)deutschen Landwirtschaft ist (noch) bäuerlich
strukturiert. Der familienverfasste, selbstschuldnerisch haftende, nachhaltig in
Generationen vererbbare bäuerliche Familienbetrieb wird zunehmend von nur
beschränkt haftenden juristischen Personen beherrscht, von
Agraraktiengesellschaften, GmbH, GmbH & CoKG, von westdeutschen Agrarkonzernen
und ostdeutschen LPG-Chefs. Mit der 'Betriebsprämie' würde deren wirtschaftliche
Stellung weitergestärkt. Die agrarindustriellen Komplexe, in
Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg besonders, gehören 'agrarindustriellen
Clans', wie Schockemöhle, Wesjohann, Pohlmann, Zimmerer, Eskildsen, Behrens, von
Kameke oder von Meerheimb.

Die staatliche Treuhand-Gesellschaft verscherbelte 1991/92 die KIM-Anlagen trotz
großer Proteste der benachbarten Wiedereinrichter und der VDL-Verbände.

So ging die Rindermastanlage 'Ferdinandshof' in Vorpommern mit 23.000
Bullenplätzen an den Augsburger Getreidehändler Osterhuber, die 20.000er
Rindermastanlage im mecklenburgischen Hohenwangelin an die Familie Rodo
Schneider, den ehemaligen Geschäftsführer des Fleischkonzerns Moksel. Alle in
den 'historischen Jahren' 2000, 2001 und 2002 geflossenen Tier- und
Schlachtprämien flössen mit der 'Betriebsprämie' ungeschmälert weiter, selbst
wenn die Betreiber die Bullenanlage oder Milchviehanlagen schließen würden.

Wie der Herre, so`s Gescherre!

LPG-Nachfolgebetriebe, mit z.B. 2000 Kühen und 10 Mio. kg kapitalisierter
Milchquote, könnten jetzt schon einen Börsenpreis von ca. 5 Mio. Euro erzielen,
wenn sie sich denn zur Aufgabe der Produktion entschließen. Mit dem nun vom
Sächsischen Landwirtschaftsministerium ins Spiel gebrachten sog. 'Kombi-Modell',
soll die Milchproduktion nicht mit entkoppelt werden, was bedeuten würde, dass
die Milchbarone zu Quotenmillionären und Sofa-Melkern werden würden.
Berühmt-berüchtigt wurde der Fall der LPG Rippien bei Dresden. Hier steht eine
2.000er Milchviehanlage mit 10 Mio. kg Milchquote und 2.000 ha Acker. LPG-Chef
war und ist der erst kürzlich wiedergewählte DBV-Vizepräsident Frank Rentzsch.
SED-Mann Rentzsch wurde 1989 als Modrow-Nachfolger gehandelt, als dieser als 1.
Sekretär der SED-Bezirkleitung Dresden Nachfolger von Egon Krenz als
DDR-Ministerpräsident wurde. Da aus der politischen Karriere nach der Wende
nichts wurde, rief ihn Baron v. Heereman und später Bauernpräsident Sonnleitner
als DBV-Vizepräsidenten des deutschen Berufsstandes nach Bonn. Wie der Herre,
so`s Gescherre! Auch nach der Zwangsliquidation der LPG Rippien im Jahr 2002
durch den Bundesgerichtshof (BGH) wegen rechtswidriger LPG-Umwandlung, wurde
Rentzsch im Mai 2003 erneut in das DBV-Spitzenamt berufen. Er gilt im DBV als
eifrigster Verfechter der 'Betriebsprämie'.

Nicht zu reden vom Thüringer Bauernverbandspräsident Klaus Kliem, 4.500 Hektar,
vom BGH zur Liquidation der ADIB in Aschara gezwungen, kürzlich ebenfalls wieder
gewählt. Er vertritt Deutschland in Brüssel in Sachen Getreide und nachwachsende
Rohstoffe. Auch er natürlich ein Befürworter des Rote-Barone-Modells.

Mehrfamilien-Clans kaufen Großanlagen

Es gibt in Ostdeutschland ca. 50 Großanlagen mit über 100.000 Kühen. Eine davon
steht an der Heinebank im Mittleren Erzgebirgskreis. Auch diese 5.000 Hektar-LPG
ist durch den Bundesgerichtshof zur Liquidation gezwungen worden. Jetzt soll sie
an genau den gleichen Mehrfamilien-Clan für ein geringes Entgeld versilbert
werden, der sie 1990 widerrechtlich 'umgewandelt' hatte. Es kann sich auch kein
fremder Käufer finden, da die der LPG i.L. gehörenden Tausende Hektar Pachtland
flugs auf eine neu gegründete Agrar-Aktengesellschaft umgeschrieben wurden, die
den selben Altkadern gehört.

Das Schweigen der DBV-Lämmer

Bekannt ist wegen ihrer schieren Größe auch die 4.000er Milchviehanlage im
vorpommerschen Dedelow. Die Stadt Berlin hat im brandenburgischen Umland ihre
ehemaligen Stadtgüter zurück erhalten. Hier stehen 6.000 Milchkühe mit 41 Mio.
kg Milchquote, die jetzt an private Investoren verkauft werden sollen. Die
niederländische Familie Koopman betreibt drei Anlagen in Mecklenburg und
Sachsen-Anhalt mit 4.000 Kühen. Das wären die Nutznießer der 'Betriebsprämie',
ein Skandal, der den westdeutschen Bauern von den DBV-Wochenblättern bewusst
vorenthalten wird.

Die Betriebsprämie: ein Rote-Barone-Modell

Das Modell der 'Betriebsprämie' wäre auch ein Desaster für den gesamten Pacht-
und Bodenmarkt in Deutschland. Die Verpächter, also die landwirtschaftlichen
Grundeigentümer, auch im Westen, sollen nach diesem Rote-Barone-Modell bei
Pachtende ihre Flächen wertlos zurückerhalten.

Beim Bewirtschafterwechsel ginge die Prämie nicht zwingend mit der Fläche mit.
Wenn den roten Landlords oder anderen Großagrariern eine Pachtfläche durch
Kündigung oder Pachtende entzogen würde, müssten diese den Flächen keine
Prämienrechte mitgeben. Eine Konstruktion mit Verfassungswidrigkeit, juristisch
nicht haltbar und weder mit dem BGB noch mit Klauseln in deutschen
Pachtverträgen vereinbar.

Konflikt zwischen Pächtern und Verpächtern

Das aber würde zu tiefen Zerwürfnissen zwischen Pächtern und Verpächtern, zur
Vergiftung des dörflichen Friedens und der kulturellen Gesittung überhaupt
führen. Die geplante Entwertung des Grund und Bodens, der Verfall der Kauf- und
Pachtpreise, würde aber auch die verunsicherten Banken weiter aufschrecken
lassen (Basel II): Altkredite wären akut gefährdet und die Grundschuld, als das
Nonplusultra der bürgerlichen Wirtschaftsordnung schlechthin, würde obsolet.

Enteignung der Grundeigentümer

Käme die 'Betriebsprämie', könnten die Grundeigentümer, als bisherige
Verpächter, nicht verhindern, dass ihre Flächen ohne Prämienrechte zurückkommen.
Sie böten die Flächen auf dem Pachtmarkt an und erzielten dabei nur einen sehr
geringen Preis, da die Nachpächter bei ihrer Preiskalkulation nur das Einkommen
aus der laufenden Produktion (ohne Prämienrecht) ansetzen würden.

Im Laufe der Zeit würde das gesamte Pachtpreisniveau im Agrarsektor sinken und
die Pachtpreise tatsächlich auf breiter Front rasch fallen.

Im Vergleich zur vollständigen Entkopplung bringt die Teilentkopplung für keinen
Landwirt einen Einkommensvorteil, aber für viele Landwirte Einkommensnachteile.
Insbesondere jene Landwirte, die kleinere und mittlere Betriebe bewirtschaften
und daher in geringerem Maße Größenvorteile zur Senkung ihrer Produktionskosten
nutzen können, würden durch die Teilentkopplung benachteiligt. Nach Berechnungen
der Sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft verlieren alle Flächen 60
Euro/ha, wenn z.B. die Milch nicht mit entkoppelt würde.

VDL fordert Flächenprämie als Mischprämie aus Acker- und Grünlandprämie

Der VDL begrüßt den Vorschlag ein deutschlandweit einheitliches 'Regionalmodell'
einzuführen, das flächenspezifische Zahlungsansprüche sichert (Art.58 ff). Vor
allem aber ist die von der Bundesregierung geplante erstmalige Einführung einer
Grünlandprämie in Höhe der Ackerlandprämie zu begrüßen:

Kombination des deutschen Umsetzungsmodells

Deutschland
Umsetzungsmodell in Euro.............2007..........2012
Betriebsprämie.........................89.............0
Ackerlandprämie.......................300...........302
Grünlandprämie.........................89...........385
--------------------------------------------------------
Einheitsprämie........................327 Euro......361 Euro

Der wirklich gravierende Unterschied zwischen beiden Prämienformen liegt in der
Wirkung auf die personelle Einkommensverteilung innerhalb der Landwirtschaft.
Sollte sich bis zum 01.08.2004 Deutschland nicht einigen können, gilt das
EU-Modell der 'Betriebsprämie'.

Teilentkopplung ist für kleinere Betriebe von Nachteil

Die vollständige Entkopplung ist auch gerechter als eine Teilentkopplung. Bei
vollständiger Entkopplung erhalten die Landwirte die Prämie in voller Höhe und
haben darüber hinaus die Chance, auf rentablere Produktionsrichtungen
umzusteigen bzw. ihre Produktionsfaktoren gewinnbringender außerhalb der
Landwirtschaft einzusetzen. Demgegenüber müssen sie bei einer Teilentkopplung
die landwirtschaftliche Produktion auch dann fortsetzen, wenn dies für sie
eigentlich nicht die optimale Verwendung ihrer Arbeitskraft darstellt und sie
deshalb lukrative Erwerbsalternativen verpassen. Die Teilentkopplung ist daher
besonders für flächenarmen und weniger wettbewerbsfähigen kleineren Betriebe von
Nachteil.
Die Einkommensinteressen der Landwirte sprechen daher im Grundsatz für die
vollständige Entkopplung und für einheitliche Flächenprämien, erstmals auch für
das bisher stets stiefmütterlich behandelte Grünland. Im Unterschied zur
Teilentkopplung wird niemand zu verlustträchtiger Produktion 'gezwungen', d.h.,
jeder kann in den ungeschmälerten Genuss der Direktzahlungen kommen und seinen
Betrieb auf die Signale des Marktes ausrichten.

Junglandwirten muss das Recht zugestanden werden, aus der nationalen Reserve
kostenlose Prämienrechte zu erhalten. Das würde auch ein erheblicher Anreiz für
die Erbfolge in bäuerlichen Familienbetrieben sein.

VDL ruft westdeutsche Bauern auf

Der VDL lehnt aus all den genannten Gründen die 'Betriebsprämie' strikt ab. Er
ruft die westdeutschen Bauern auf, in ihren DBV-Wintersversammlungen ebenfalls
dagegen zu protestieren. Die 'Betriebsprämie' alimentiert die Großagrarier durch
den Prämiensack aus den 'historischen Jahren' 2000, 2001 und 2002 dauerhaft. Mit
der LPG-Vermögensverschiebung im letzten Jahrzehnt, den flächendeckenden
Bilanzfälschungen, den gesetzwidrigen LPG-Umwandlungen und den vorgesehenen
Altschuldengeschenken an die ostdeutschen Großagrarier verlöre die Politik auch
die letzte Glaubwürdigkeit, wenn den LPG-Chefs weitere Milliardengeschenke
gemacht werden würden.'

Links zum Thema Verbände.

 


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