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@grar.de Aktuell - 27.09.2003

Lüneburger Erklärung zu Weidelandschaften und Wildnisgebieten verabschiedet

Extensive Weidelandschaften - ein zukunftsträchtiges Konzept für Naturschutz und Landwirtschaft auch in Deutschland


Lüneburg/Hamburg/Bonn (agrar.de) - Nach Einschätzung der Fachleute werden
großflächige, extensive Beweidungssysteme künftig eine wichtige Rolle bei dem
Erhalt wertvoller Offenlandschaften in Europa spielen. 'Es wird zudem deutlich,
dass solche Beweidungssysteme auch geeignet sind, einer extensiven und damit
naturverträglichen Grünlandnutzung in Deutschland neue Perspektiven zu öffnen',
sagte Hardy Vogtmann, Präsident des Bundesamtes für Naturschutz (BfN),
anlässlich einer Tagung zu neuen Wegen der Kulturlandschaftspflege in Lüneburg.
An der Veranstaltung nahmen 160 Experten aus Naturschutz und Landwirtschaft auf
Einladung des Bundesamtes für Naturschutz und der Universität Lüneburg teil.

Nach Ansicht des BfN-Präsidenten müsse die Neuausrichtung der europäischen
Landwirtschaft, die mit den Luxemburger Beschlüssen eingeleitet worden sei,
konsequent weiterverfolgt werden. Darin läge eine große Chance für die Erhaltung
einer artenreichen Kulturlandschaft, so Vogtmann.

Auf der Fachtagung an der Universität Lüneburg waren die Erkenntnisse aus
zahlreichen Forschungs- und Modellvorhaben vorgestellt worden, die in den
letzten vier Jahren insbesondere vom Bundesamt für Naturschutz und vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zu dieser Thematik
gefördert wurden. Als praktisches Beispiel wurde den Fachleuten das
Modellprojekt 'Halboffene Weidelandschaft Höltigbaum' bei Hamburg vorgestellt.
In diesem Projekt der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein, das vom BfN und
den Bundesländern Schleswig-Holstein und Hamburg gefördert wird, beweiden
Galloway-Rinder eines Ökolandbaubetriebes und Schafe ein ca. 220 ha großes
Areal.

Zum Abschluss der Tagung machten die Teilnehmer in der 'Lüneburger Erklärung zu
Weidelandschaften und Wildnisgebieten' deutlich, wie die Rahmenbedingungen
verändert werden müssen, damit solche Weidesysteme auch in Deutschland eine
breite Anwendung in der Praxis finden können. Die wichtigsten Forderungen sind:

· Festsetzung regional einheitlicher, flächenbezogener Betriebsprämien für
landwirtschaftliche Betriebe im Zuge der Umsetzung der Luxemburger Beschlüsse
zur Agrarreform in Deutschland

Die Festsetzung regionalisierter flächenbezogener Betriebsprämien muss dabei die
regional unterschiedlichen Standortbedingungen berücksichtigen.
Betriebsspezifische Prämien, wie sie von anderer Seite gefordert werden, die
sich an der Höhe der im Zeitraum von 2000 bis 2002 gezahlten Förderungen
ausrichten, bewirken dagegen, dass die bisherige ungünstige Entwicklung von
zunehmender Nutzungsaufgabe auf benachteiligten Standorten einerseits und immer
intensiverer Bewirtschaftung auf landwirtschaftlichen Gunststandorten
weitergeht. Durch die Einführung regionalisierter flächenbezogener Prämien kann
die Voraussetzung für eine flächendeckend extensivere und damit nachhaltigere
Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen geschaffen werden.

· Gezielte Förderung großflächiger extensiver Beweidungssysteme durch
entsprechende Ausgestaltung der Agrarförderung

Die ökologische Leistung solcher Beweidungssysteme sollte durch einen Mix aus
flächenbezogener Grünlandprämie und Leistungen aus den Agrarumweltprogrammen
honoriert werden. Eckpunkt entsprechender Programme müssen u.a. die ganzjährige
Beweidung mit regionalspezifisch festgelegten Beweidungsdichten, eine
Mindestflächengröße von 20 bis 40 ha und eine Zulassung von bis zu 20 Prozent
Gehölzanteil auf den zu fördernden Flächen sein.

Anpassung veterinär- und tierschutzrechtlicher Bestimmungen und der
Viehverkehrsordnung an die besonderen Bedingungen großflächiger Weidesysteme
Insbesondere die bestehenden Verpflichtungen zur zeitnahen Markierung von
Kälbern, zur täglichen Kontrolle der Tiere und zur regelmäßigen Blutbeprobung
müssen in geeigneter Weise für solche Beweidungssysteme modifiziert werden. Auch
müsste die Entnahme von Tieren zur Vermarktung in großen bzw. sehr
unübersichtlichen Gebieten durch Abschuss zugelassen werden.

· Entwicklung eines Verhaltenscodexes für Gebietsbetreuer von großflächigen
Weidesystemen hinsichtlich der Tierbetreuung

Hinsichtlich des Umgangs mit kranken oder sterbenden Tieren in großflächigen
Beweidungssystemen ist die Entwicklung eines bundesweit einheitlichen
Verhaltenscodexes notwendig, der sowohl die artgerechte Haltung als auch die
Großflächigkeit berücksichtigt. Dabei ist zwischen Gebieten mit einer
landwirtschaftlichen Ausrichtung und Wildnisgebieten zu differenzieren.

· Neuregelung des rechtlichen Status von 'halbwilden Nutztieren' in
Wildnisgebieten

Um die naturschutzfachlichen Ziele in großflächigen 'Wildnisgebieten' erfüllen
zu können, sind neben den wild vorkommenden großen Pflanzenfressern auch robuste
Pferde- und Rinderras-sen in den dafür vorgesehenen Gebieten einzusetzen. Diese
Tiere sollen sich weitestgehend unbeeinflusst in sozialen Herden frei im Gebiet
entwickeln können. Damit für sie ähnliche rechtliche Bestimmungen gelten wie für
Wildtiere, ist es erforderlich, einen eigenen rechtlichen Status als
'Halbwildtiere' auch auf der EU-Ebene zu verankern.

· Wiedereinbürgerung von Großtieren in Deutschland

Damit sich perspektivisch wieder großflächige Wildnisgebiete in Deutschland
entwickeln kön-nen, ist die geeignete Wiedereinbürgerung ausgerotteter bzw.
verdrängte Großtiere wie zum Beispiel Elch, Wisent, Luchs und Wolf zu fördern.
Dem Rothirsch sollte eine flächendeckende Besiedlung aller geeigneten Bereiche
in Deutschland ermöglicht werden.

· Anpassung naturschutz- und forstrechtlicher Bestimmungen an die Erfordernisse
großflächiger Weidesysteme

Um großflächige, extensive Weidesysteme ohne Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen
einrichten zu können, bedarf es der Anpassung einschlägiger Bestimmungen. So
müssen Ausnahmen bei dem gesetzlichen Verbot der Beweidung bestimmter
Biotoptypen für solche Systeme zugelassen werden. Dies gilt insbesondere für die
Einbeziehung von Waldbeständen in solche Weide-landschaften. Auch bedarf es
einer Anpassung forstrechtlicher Bestimmungen, um den Erhalt bzw. die
Wiederherstellung von Hudewäldern unter Einbeziehung der großen Pflanzenfresser
zu ermöglichen.

· Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit für Weidelandschaften und Wildnisgebiete

Die bislang mit großflächigen Weidesystemen im In- und Ausland gemachten
Erfahrungen müssen einem breiten Publikum vermittelt werden. Zielgruppen sind
hier neben dem Naturschutz insbesondere die Land- und Forstwirtschaft und der
Tourismus. Die 'Unordnung' von Wildnisgebieten stößt in der Bevölkerung,
insbesondere im ländlichen Raum, vielfach auf Ablehnung. Daher muss für den
naturschutzfachlichen Wert und die Schönheit von 'ungepflegten Wildnisgebieten'
offensiv geworben werden.

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