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@grar.de Aktuell - 25.09.2003

Reinheitsgebot statt Zwangs-Anbau von Gentechnik

Breite Initiative fordert Schutz gentechnikfreier Landwirtschaft und Lebensmittel


Berlin (agrar.de) - Eine breite Koalition von Landwirten,
Lebensmittelwirtschaft, Verbrauchern, Umweltschützern, Gewerkschaften und
Kirchen startet heute in Berlin eine bundesweite Postkarten-Aktion zum Schutz
des Saatguts vor gentechnischer Kontamination. Bundeskanzler Schröder wird
aufgerufen, ein Reinheitsgebot für nicht gentechnisch verändertes Saatgut
durchzusetzen.

Die Europäische Kommission plant mit einer eher unscheinbaren, technischen
Richtlinie der Gentechnik in der Landwirtschaft eine gefährliche 'Hintertüre' zu
öffnen. Sogenannte 'zufällige und technisch unvermeidbare' Verunreinigungen von
herkömmlichem Saatgut mit gentechnischen Sorten sollen künftig, je nach
Pflanzenart, zwischen 0,3 und 0,7 Prozent toleriert werden, ohne dass dies
gekennzeichnet werden müsste.

Die Position der Bundesregierung in dem zuständigen 'Ständigen Ausschuss für
Saatgut' der EU, der über die Richtlinie im Oktober abstimmen soll, ist
entscheidend und bisher nicht festgelegt. Während das Verbraucherministerium für
ein Reinheitsgebot an der Nachweisgrenze plädiert, unterstützt das
Wirtschaftsministerium bisher den Kommissionsvorschlag.

Jede zweihundertste Maispflanze, Tomate, Rübe oder Kartoffel, die auf
konventionellen oder Bio-Äckern in Deutschland wächst, könnte nach dem
Richtlinienentwurf der EU-Kommission ein gentechnisch veränderter Organismus
(GVO) sein, ohne dass die betroffenen Bauern dies verhindern könnten. Milliarden
von GVOs würden sich so im vermeintlich gentechnik-freien Anbau vermehren und
zwar selbst dann, wenn kein einziger Landwirt willentlich gentechnische Sorten
anbaut.

Die Folgen einer solchen Form des Zwangs-Anbaus von Gentechnik bekämen alle
Bereiche der Lebensmittelproduktion zu spüren: Landwirte könnten keine wirklich
gentechnikfreien Produkte mehr liefern und müssten ebenso wie
Lebensmittelverarbeiter und der Einzelhandel alle betroffenen Produkte daraufhin
testen, ob sie nicht bereits als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden
müssen. Für Lebens- und Futtermittel wurden von der EU unlängst verschärfte
Kennzeichnungsvorschriften beschlossen.

Massive zusätzliche und überflüssige Kosten bei der Lebensmittelproduktion wären
die Folge und würden gerade die treffen, die Gentechnik in ihrem Essen und ihren
Produkten vermeiden wollen. Durch staatlichen Eingriff würde verhindert, dass
tatsächlich der Markt darüber entscheidet, ob sich Gentechnik-Produkte
durchsetzen oder nicht. Aufwand und Kosten würden der Industrie, die solche
Sorten auf den Markt bringen will, abgenommen und stattdessen den Bauern und der
Lebensmittelindustrie und ihren Kunden aufgebürdet. Die Kosten würden zudem
insgesamt um Größenordnungen aufgebläht. Statt des Saatgutes, das am Anfang der
Produktion steht, müsste die gut hundertfache Ernte-Menge auf GVOs kontrolliert
werden.

Die Richtlinie würde wesentliche Sicherheitsbestimmungen des Gentechnikgesetzes
und der entsprechenden EU-Gesetze de facto außer Kraft setzen. Die dort
vorgesehene Kontrolle des GVO-Anbaus wäre praktisch undurchführbar, wenn sie den
gesamten nicht-gentechnischen Anbau mit einschließen muss. Da Saatgut sich
vermehrt und in der Natur verbreiten kann, geht es bei seiner Kennzeichnung
nicht allein um eine Verbraucherinformation. Sie ist auch die Voraussetzung für
vorbeugenden Umweltschutz und für eventuell erforderliche Notfallmaßnahmen.
Sollte - wie in den USA bereits geschehen - ein GVO wegen möglicher Gesundheits-
oder Umweltschäden wieder aus dem Verkehr gezogen werden müssen, wäre dies
praktisch unmöglich, wenn er bereits im gesamten Saatgut der betroffenen
Pflanzenart verbreitet wäre.

Zitate von der gemeinsamen Pressekonferenz am 25.9.2003

'Die Umsetzung der diskutierten Grenzwerte gleicht einer
Gentechnik-Einführungsverordnung, da es uns voraussichtlich unmöglich gemacht
wird, den Grenzwert von 0,9 Prozent in unseren Produkten zu garantieren,' sagte
Franz Engelke, Geschäftsleitung der Kampffmeyer Mühlen GmbH, Werk Wesermühlen
Hameln.

'Wir befürchten den Verlust unseres einzigartigen, unverfälschten kulturellen
Erbes, das viele Generationen über Jahrhunderte bewahrt haben. Und wir sehen
Gefahren für die Entwertung unseres Grundbesitzes, wenn es nicht gelingt,
genetische Manipulationen so auszuschließen, dass sie sich nicht unkontrolliert
verbreiten,' erklärte der Präsident der Prädikatsweingüter Deutschlands (VDP),
Michael Prinz zu Salm-Salm, der zugleich Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
der Grundbesitzerverbände ist.

'Wenn das Saatgut mit GVO verunreinigt ist, werden auch die 'zufälligen
Verunreinigungen' der Verarbeitungsprodukte langsam schleichend ansteigen, da
sich die Gehalte im Verarbeitungsprodukt anreichern können,' befürchtet Jutta
Jaksche vom Bundesverband Verbraucherzentrale , 'Dadurch würde die Wahlfreiheit
des Verbrauchers noch stärker eingeschränkt.'

Prof. Dr. Hubert Weiger, agrarpolitischer Sprecher des Bund für Umwelt und
Naturschutz Deutschland (BUND) und Präsident des Agrarbündnis sagte:
'Bundeskanzler Schröder muss sich entscheiden: Entweder setzt er sich für die
Interessen der Bauern und der Verbraucher ein - oder für die Interessen der
Gentech-Industrie. Entweder wird manipuliertes Saatgut konsequent
gekennzeichnet - oder das Recht, gentechnikfreie Lebensmittel einzukaufen, ist
Geschichte.'

'Die Umweltbeauftragten der evangelischen Kirche in Deutschland beobachten
derzeit mit großer Sorge, dass durch die geplante EU-Saatgutrichtlinie die
Freiheit der Landwirte, zwischen gentechnikfreiem Saatgut und gentechnisch
verändertem Saatgut auswählen zu können, zunichte gemacht werden soll.
Herkömmliches Saatgut sollte auch weiterhin frei von Gentechnik sein,' erklärte
Pfarrer Reinhard Dalchow vom Vorstand der Arbeitsgruppe der Umweltbeauftragten
der evangelischen Kirche in Deutschland.

Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf , MdEP (Grüne), Vize-Präsident des
Agrarausschuß im Europäischen Parlament und Vorsitzender Arbeitsgemeinschaft
Bäuerliche Landwirtschaft, AbL, sagte: 'Egal welche Anstrengungen die Bauern
auch unternehmen werden, um ihre Produktion frei von GVOs zu halten - wenn diese
Schwellenwerte Gesetz werden, werden alle Bauern, einschließlich der Biobauern,
ein großes Risiko eingehen, dass ihre Produkte mit GVO kontaminiert werden und
als 'gentechnisch verändert' gekennzeichnet werden müssen. Daher fordern wir die
Kommission auf, den Schwellenwert bei der Nachweisgrenze von 0,1 Prozent
festzusetzen.'

'Das Anliegen von uns Eurotoques-Köchen ist es, naturbelassene Lebensmittel in
regionstypischer Ausprägung meisterlich zuzubereiten. Wir sagen 'Nein' zur
Gentechnik und 'Ja' zu gutem Essen,' sagte Eurotoques-Chefkoch Hans-Peter Wodarz
von Pomp, Duck and Circumstance.

Thomas Dosch vom Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) sagte: 'Diese
Richtlinie bedroht den ökologischen Landbau existentiell und würde generell zu
einer unnötigen Steigerung der Lebensmittelpreise führen.'

Links zum Thema Biotechnologie,
Links zum Thema Agrarpolitik.

 


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