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@grar.de Aktuell - 23.06.2003

BBV: Stellungnahme zum Beratungsstand des Agrarrates in Luxemburg


München (agrar.de) – Der Bayerische Bauernverband (BBV) ist entrüstet,
dass beim Agrarrat vor allem Kommissar Fischler bislang keinen Weg eingeschlagen
hat, der die Bäuerinnen und Bauern im Wettbewerb stärken und echte
Zukunftsperspektiven ermöglichen würde. Gerade in der derzeit sehr angespannten
wirtschaftlichen Situation – vor allem aufgrund des Preisdrucks auf den
Agrarmärkten und der ständigen Diskussion neuer Belastungen auf bundespolitischer
Ebene – hätten unsere Bauernfamilien ein ermutigendes Signal für die bäuerliche
Landwirtschaft erwartet. Völlig unverständlich ist, dass Kommissar Fischler bisher
die Stellungnahme des Europäischen Parlaments, des von den Bürgern legitimierten
EU-Organs, nicht berücksichtigt. Das Europäische Parlament hat aufgrund der
konstruktiven politischen Arbeit der europäischen Bauernverbände wesentliche
Standpunkte und Anliegen des Berufsstands berücksichtigt.

Die EU-Kommission hat stets betont, eine Agrarreform sei notwendig, um vorhandene
Überschüsse abzubauen, die Erzeugung umweltgerechter zu machen und die Qualität
der landwirtschaftlichen Produkte zu verbessern. Die bayerischen Bäuerinnen und
Bauern können diese Argumentation nicht nachvollziehen. Sie erzeugen hochwertige
Nahrungsmittel, wirtschaften nach dem Nachhaltigkeitsprinzip und produzieren für
die Märkte entsprechend der Verbrauchernachfrage. Dafür sprechen auch die Fakten.
Rund 50 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Bayerns werden freiwillig nach
besonderen Umwelt- und Naturschutzkriterien bewirtschaftet. Die hohe Qualität der
bayerischen Produkte ist dafür verantwortlich, dass jährlich Käse und Milch im
Wert von rund 1,5 Mrd. Euro exportiert werden. In ihren eigenen Marktprognosen
bewertet die EU-Kommission die mittelfristigen Aussichten für die meisten
landwirtschaftlichen Produkte als weitgehend positiv - also ausgeglichene Märkte
und keine gravierenden Überschussprobleme. Die Exporterstattungen wurden in den
letzten zehn Jahren von 37 Prozent auf acht Prozent Anteil am EU-Agrarhaushalt
zurückgeführt. Dies zeigt auf, dass bereits die bestehenden agrarpolitischen
Grundregeln deutlich weniger Unterstützung für die Agrarexporte erfordern.

Die nach dem aktuellen Stand der Verhandlungen im Agrarrat geplante Reform würde
für die bayerischen Bauernfamilien rund 350 Mio. Euro Einkommenseinbußen pro Jahr
bedeuten. Darüber hinaus würden Modulation, Cross-Compliance und das diskutierte
Entkoppelungssystem die Bauernfamilien mit einer neuen Welle von Bürokratie
belasten. Davon betroffen sind gleichermaßen herkömmlich und ökologisch
wirtschaftende Betriebe.

Die von der EU-Kommission selbst propagierten Ziele für eine Agrarreform -
Stärkung bäuerlicher Betriebe, weniger Bürokratie, mehr Umwelt- und Tierschutz -
werden mit dem vorgeschlagenen Konzept keinesfalls erreicht. Gleichzeitig wird für
die WTO-Verhandlungen jegliche Grundlage zur Sicherung der multifunktionalen
bäuerlichen Landwirtschaft in der EU verlassen. Die Hauptkontrahenten der EU bei
den WTO-Verhandlungen würden diese offensichtliche Schwäche der EU zu weiteren
Angriffen auf die europäische Landwirtschaft nutzen. Dies ohne Not, weil
grundsätzlich mit der Agenda 2000 die Verhandlungsgrundlage für die laufende
WTO-Runde geschaffen wurde.

Viele bäuerliche Unternehmerfamilien, besonders in den benachteiligten Gebieten,
wären damit in ihrer Existenz gefährdet. Damit stehen nicht nur Arbeitsplätze in
der Landwirtschaft und im gesamten ländlichen Raum auf dem Spiel, sondern auch die
heimische Nahrungsmittelerzeugung. Die Land- und Forstwirtschaft und ihre vor- und
nachgelagerten Bereiche stellen in Bayern über 700.000 Arbeitsplät-ze. Auch die
attraktive Kulturlandschaft Bayerns wird nur bestehen bleiben, wenn eine
flächendeckende Landbewirtschaftung aufrechterhalten werden kann.

Zu den speziellen Bereichen der Agrarratsverhandlungen stellt der Bayerische
Bauernverband Folgendes fest:

Gewaltiger Preisdruck durch Eingriffe bei Milch und Getreide

Bei der Milch würden nach wie vor die geplanten früheren und stärkeren
Preissenkungen und das Festhalten an der bereits beschlossenen Quotenaufstockung
im Jahr 2005 einen starken, zusätzlichen Preisdruck erzeugen. Die Folgen wären
dramatisch: Die 55.000 bayerischen Milchviehbetriebe würden durch diesen Vorschlag
in der Endstufe ab 2008 rund eine Viertel Milliarde Euro pro Jahr zusätzliche
Einkommensverluste haben. Faktisch würde die Milch von der Politik endgültig zum
reinen Discountprodukt degradiert. Unter den geplanten politischen Vorgaben würde
vor allem in benachteiligten Gebieten wie Mittelgebirgen und Voral-pen sowie bei
kleinen und mittleren Betrieben der Erlös nicht einmal mehr die Produktionskosten
decken. Bereits aktuell ist für die Milchbetriebe aufgrund der ohnehin schon
niedrigen Milchpreise die wirtschaftliche Situation sehr angespannt. Mit den in
Luxemburg diskutierten Vorhaben steht auch die mit der Milchviehhaltung verbundene
Pflege und Erhaltung der Kulturlandschaft sowie die Zukunft der Molkereien auf dem
Spiel.

Der Bauernverband hat von der EU-Kommission und den EU-Agrarministern ein echtes
Bekenntnis zur Fortführung der Milchmarktordnung über 2008 hinaus ge-fordert, so
dass sie für die melkenden Betriebe einen Nutzen hat: Aussetzung des bestehenden
Agenda-2000-Beschlusses zur Aufstockung der Milchmenge, flexiblere Mengensteuerung
nach Marktlage, volle Kompensation von politischen Preissenkungen und wirksamer
Außenschutz. Der aktuelle Beratungsstand berücksichtigt diese Anliegen für eine
echte Perspektive der Milchbetriebe, die überwiegen auch das Grünland
bewirtschaften, völlig unzureichend.

Bereits zur Ernte 2002 haben die Getreidepreise ein Niveau erreicht, dass ein
Bauer sich aus seinem Erlös für 50 Kilogramm Getreide nur mehr 25 Semmeln leisten
kann, wohingegen aus dieser Menge 1.100 Semmeln gebacken werden. Vor zehn Jahren
konnte sich der Bauer aus dem Getreideerlös noch über 50 Semmeln kaufen. Nach wie
vor erwartet der Bauernverband deshalb von den Agrarratsberatungen, dass es
letztlich zu keinen weiteren Preissenkungen für Getreide kommen darf. Auch die
internationale Marktlage rechtfertigt keine zusätzlichen Preiseingriffe.

Modulation - Kürzung und Umschichtung zu Lasten wirtschaftender Betrie-be

Die Modulation ist kein geeignetes Instrument, um wirtschaftende Betriebe besser
zu stellen. Die aktuell ab 2005 diskutierten Kürzungen würden rasch ansteigen und
ab 2007 in Bayern über 40 Prozent der bayerischen Betriebe mit Direktzahlungen –
bäuerliche Familienbetriebe – betreffen. Diese Kürzung der
Preisausgleichszahlungen würde für unsere Bauernfamilien einen deutlichen
zusätzlichen Einkommensdruck bedeuten. Ein Ausbau der Förderung des ländlichen
Raums ('zweite Säule' der EU-Agrarpolitik) darf nicht zu Lasten wirtschaftender
Familienbetriebe erfolgen.

Cross-Compliance – Gefahr von Wettbewerbsnachteilen

Trotz einer zwischenzeitlich reduzierten Vorschriftenliste können von der
Verknüpfung der Direktzahlungen mit zusätzlichen Auflagen im Bereich Umwelt-,
Tierschutz und Lebensmittelsicherheit (Cross-Compliance) erhebliche Probleme
ausgehen. Wenn Auflagen, die bisher über Agrarumweltprogramme (KULAP) abgegolten
wurden (z.B. Umbruchverbot Grünland) zur Vorbedingung für die Direktzahlungen
erhoben werden, kann dies das Aus für bedeutende Programmbereiche nach sich
ziehen. Außerdem werden bestehende Wettbewerbsnachteile für Länder mit hohen
Standards, wie z.B. Deutschland, zementiert, wenn die Direktzahlungen nicht an
einheitliche europäische Kriterien, sondern an die nationale Umsetzung von
EU-Bestimmungen gebunden werden.

Bürokratie ohne Ende

Der aktuelle Beratungsstand des Agrarrates zur Entkoppelung, zu Cross-Compliance
und zur Modulation läuft auf eine bisher nicht gekannte bürokratische Belastung
der Bauernfamilien, aber auch der Behörden von Bund und Ländern hinaus. In der
Diskussion der Entkoppelung soll neben dem bisherigen System der gekoppelten
Direktzahlungen gleichzeitig das System von entkoppelten Direktzahlungen auf jeden
einzelnen Betrieb angewandt werden. Anstatt dem Vorschlag des Bauernverbandes nach
Vereinheitlichung und weiterer Pauschalierung im Sinne von Bürokratieabbau und
Vereinfachung zu folgen, ist jetzt ein irrsinnig kompliziertes Verfahren mit einem
'alten' und einem 'neuen' System Diskussionsstand. Und das vor dem Hintergrund, wo
sich Kommission und die beteiligten Agrarminister die Entbürokritisierung groß auf
die Fahnen schreiben. Hier scheint man zum Leidwesen der Bäuerinnen und Bauern
gänzlich den Blick für die Praxis verloren zu haben.

Verwerfungen durch Entkoppelung

Die im Moment vorgesehene anteilige Entkoppelung der Direktzahlungen - ein
gewisser Teil soll bleiben wie bisher - und Cross-Compliance würden nach wie vor
in einer völlig undurchsichtigen, behördlichen Zwangswirtschaft enden. Ferner
würde der jetzige Diskussionstand zur Entkoppelung zu weiteren
Wettbewerbsverzerrungen führen, da für einzelne Staaten erhebliche Ausnahmen in
einzelnen Produktbereichen (z.B. Rindfleisch) zugestanden werden und auch noch
nationale Sonderwege ermöglicht werden sollen. Zudem sind durch die vorgeschlagene
Entkoppelung massive Verwerfungen innerhalb der europäischen, nationalen und
regionalen Landwirtschaft zu befürchten. Auch zu einer höheren gesellschaftlichen
Akzeptanz der Direktzahlungen würde die entkoppelte Betriebsbeihilfe nicht
beitragen, da sie keinen Bezug zur landwirtschaftlichen Erzeugung hätte.

Stilllegung – Perspektive für nachwachsende Rohstoffe

Bislang ist die Kommission einzig bei der Stilllegung den Sachargumenten des
Bauernverbandes voll gefolgt. Sie will nun entgegen ihres Vorschlags von Januar
wieder die Rotationsstilllegung für alle Betriebe und den Anbau von nachwachsenden
Rohstoffen weiterhin zulassen.

Links zum Thema EU und Landwirtschaft,
Links zum Thema Verbände.

 


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