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@grar.de Aktuell - 21.06.2003

DBV: Einkommenseinbußen und Re-Nationalisierung der Agrarpolitik drohen

Harte Kritik am Verhandlungsverlauf von Fischler durch Bauernpräsident Sonnleitner


Berlin (agrar.de) - Mit scharfen Worten hat der Präsident des Deutschen
Bauernverbandes (DBV), Gerd Sonnleitner, vor der Bundespressekonferenz in
Berlin den Verhandlungsverlauf über eine Reform der EU-Agrar-Politik in Luxemburg
kritisiert. Die Vertagung der Verhandlungen zum dritten Mal und der Widerstand von
neun EU-Ländern sei im Wesentlichen auf die fehlende Kompromissfähigkeit von
EU-Agrarkommissar Fischler zurückzuführen, der seine ursprünglichen Vorschläge
offenbar mit kleinen Abstrichen durchboxen wolle. Als schlimm bewerte es
Sonnleitner, dass Fischler die Beschlüsse des Europäischen Parlaments mit seinen
demokratisch gewählten Volksvertretern überhaupt nicht berücksichtigt habe, auf
deren Basis längst ein Beschluss der Agrarminister möglich gewesen wäre.

'Für die deutschen Bauern sind die derzeit vorliegenden Kommissionsvorschläge kein
Zukunftsmodell', stellte der Bauernpräsident fest. Wenn diese Vorschläge
realisiert würden, hätte dies Einkommenseinbußen in Milliardenhöhe, ein
Zementieren der augenblicklichen Strukturen und fehlende Perspektiven gerade für
die jungen Landwirte zur Folge. Der derzeitige Verhandlungsstand bedeute keine
politische Langzeitperspektive für eine nachhaltige Landwirtschaft, die nach
Worten des Agrarkommissars das Ziel der Reform sei. 'Was derzeit auf dem
Verhandlungstisch liegt, würde einer Re-Nationalisierung der EU-Agrarpolitik Tür
und Tor öffnen', analysierte Sonnleitner.

Zum zentralen Streitpunkt des Agrarrates, der Entkopplung, habe der DBV ein klares
und pragmatisches Konzept auf der Basis einer sektoralen Entkopplung, also einer
Unterscheidung zwischen Ackerbau, Rinderhaltung und Milcherzeugung, erarbeitet.
Nach derzeitigem Verhandlungsstand mit einer vertikalen Entkopplung würde dagegen
auf die Landwirtschaft 'Bürokratie pur' zukommen. 'Mit dem Fischler-Vorschlag zur
Teilentkopplung droht ein bürokratischer Super-Gau für unsere kleinbäuerlichen und
mittelständischen Betriebe', betonte Sonnleitner. Zudem würde kein Landwirt in der
EU erkennen, mit welchen Direktzahlungen er noch rechnen könne. Die
Mitgliedstaaten könnten den einzelnen Bauern praktisch ohne Begrenzung alle
jetzigen Direktzahlungen entziehen und sie völlig neu verteilen, ohne Rücksicht
auf die wirtschaftliche Situation der Betriebe. Ein solches System lehne der
Bauernverband strikt ab.

Durch die so genannte Modulation und Degression werde die Agrarpolitik für die
Landwirte völlig unberechenbar. So sollten Direktzahlungen ab 2007 zur Deckung
aktueller Lücken im EU-Agrarhaushalt herangezogen werden. Damit könne kein
Landwirt mehr kalkulieren, wie hoch die Ausgleichszahlungen für seinen Betrieb
sein werden. Außerdem bedeuteten die Vorschläge für eine 5-prozentige Kürzung der
Direktzahlungen (Modulation), dass den deutschen Bauern faktisch zweieinhalb
Prozent ihres Einkommens verloren gehen.

Sonnleitner machte auf der Pressekonferenz nachdrücklich auf die schwierige
existenzbedrohende Lage der Milcherzeuger aufmerksam. Die 125.000 Milchbauern in
Deutschland mit einem Durchschnittseinkommen von 19.000 Euro und sinkenden
Einkommensperspektiven im laufenden Jahr könnten die von Fischler vorgeschlagenen
Milchpreissenkungen und Milchquotenerhöhungen nicht mehr verkraften. Eine Senkung
der Interventionspreise für Butter um 28 Prozent bzw. für Magermilchpulver in Höhe
von 15 Prozent sei deshalb nicht zustimmungsfähig. Diese Preissenkungen würden für
einen durchschnittlichen Milchviehbetrieb in Deutschland mit ca. 30 Kühen einen
Einkommensverlust von jährlich rund 10.000 Euro bedeuten. Dagegen würden die
vorgeschlagenen Ausgleichszahlungen würden die Verluste nur zur Hälfte
kompensieren. Die vorgeschlagene zusätzliche Aufstockung der Milchquoten um 1,5
Prozent und die zusätzlichen Mengen für einige Länder in Südeuropa lehnt der DBV
kategorisch ab, da dann wieder die Milchseen der 80iger Jahre drohten. Eine solche
Politik gefährde nicht nur Tausende bäuerliche Existenzen inklusive der vor- und
nachgelagerten Bereiche, sondern sei gegen die Erhaltung der Kulturlandschaft,
insbesondere der Grünlandstandorte ausgerichtet.

Es sei fatal, dass Agrarrat und EU-Kommission den Beschluss des Europaparlamentes
ignorierten, welches die dramatischen Einschnitte in der Milchmarktpolitik
abgelehnt habe. Auch Ministerin Künast setze sich über den Beschluss ihrer eigenen
grünen Fraktion hinweg, auf weitere Preissenkung im Milchbereich wie auf eine
Erhöhung der Milchquoten zu verzichten. Wer etwas für die Milcherzeuger tun wolle,
so Sonnleitner, müsse sich über eine Erhöhung des Milchpreises bzw. eine Senkung
der Milchquote einsetzen.

Agrarkommissar Franz Fischler wie Ministerin Künast hätten in den vergangenen
Jahren immer wieder betont, Qualität müsse auch bei Nahrungsmitteln ihren Preis
haben. Ohne Not werde jetzt durch die Reformvorschläge zur Gemeinsamen
Agrarpolitik zusätzlicher Preisdruck auf den Märkten für Milch, aber auch Getreide
ausgelöst. Dies sei ein völlig falsches Signal sowohl für die Verbraucher als auch
für die nachhaltig produzierenden Bauern.

Mit den derzeitigen Vorschlägen werde auch der Verhandlungsspielraum der EU bei
der anstehenden WTO-Runde ohne Not verschenkt, was ein völlig falsches Signal zum
falschen Zeitpunkt an Nord- und Südamerika, Australien und Neuseeland bedeute, die
den Freihandel über den Natur- und Tierschutz stellen. Die EU habe in den
Verhandlungen erhebliche Zugeständnisse gemacht, diese Länder jedoch bisher noch
keine.

Links zum Thema EU und Landwirtschaft,
Links zum Thema Verbände.

 


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