Aktuelle Meldungen  -  Nachricht suchen  -   kostenloses Abo  -   Nachricht weiterempfehlen

 

@grar.de Aktuell - 16.06.2003

BUND, GNOR, NABU: FFH-Nachmeldung des Landes Rheinland-Pfalz unzureichend

Verbände erwarten erneute Verurteilung durch die EU


Mainz (agrar.de) - 'Gut begonnen, aber auf halbem Weg stehen geblieben und Ziel
nicht erreicht' – so ist das Urteil der rheinland-pfälzischen Naturschutzverbände
NABU, BUND und GNOR über die beabsichtigten FFH-Nachmeldungen
des Landes Rheinland-Pfalz. 'Die jetzt vorliegenden Vorschläge sind noch immer
nicht ausreichend, um das europäische Naturerbe zu sichern', so Heidelind
Weidemann, Vorsitzende des BUND Rheinland-Pfalz. Thomas Isselbächer von der GNOR
bedauert, dass das Ministerium im Vorfeld nicht bereit war, mit den Fachleuten aus
den Naturschutzverbänden über die Gebietsvorschläge zu sprechen. 'Diese
Gebietskulisse wird wahrscheinlich zu einer erneuten Verurteilung durch die EU
führen und damit immense Strafzahlungen für Rheinland-Pfalz nach sich ziehen',
urteilt Siegfried Schuch, Vorsitzender des NABU Rheinland-Pfalz.

Bereits im März 2001 hat das Land Rheinland-Pfalz Gebiete nach Brüssel gemeldet,
um die Flora-Fauna-Habitatrichtlinie (FFH) der EU zu erfüllen. Bei der sog.
biogeographischen Gebietskonferenz in Potsdam im November 2002 stellte die EU
fest, dass die rheinland-pfälzische Meldung völlig unzureichend ist. An der
Überprüfung wurden auch die Naturschutzverbände von der EU beteiligt. Die EU
verpflichtete das Land, für 27 Lebensraumtypen und 36 Arten Gebiete nachzumelden.

Das Ministerium für Umwelt und Forsten hat Mitte Mai 2003 einen Vorschlag
veröffentlicht, mit dem es die von der EU festgestellten Defizite bei den
rheinland-pfälzischen Gebietsvorschlägen beheben will. Diese Gebietsvorschläge
wurden jetzt in mühevoller Kleinarbeit von den Naturschutzverbänden analysiert.
Ihr Ergebnis: Das Land Rheinland-Pfalz hat sich bemüht, die Anforderungen der EU
zu erfüllen. Leider ist das Resultat noch immer nicht zufriedenstellend.

Bei vielen Lebensraumtypen ist die Anzahl der gemeldeten Gebiete oder ihre
geographische Verteilung unzureichend. So sehen die Verbände bei mindestens 7
Lebensraumtypen Nachbesserungsbedarf. Hierzu gehören: Fließgewässer, trockene
Heiden, Buchenwälder, Wacholderheiden, Kalk-Pionierrasen, Borstgrasrasen und
Kalk-Niedermoore.

Auch für mindestens 22 Arten sind weitere Gebietsmeldungen notwendig. Für viele
Wirbeltiere, Schmetterlinge, Libellen und Pflanzen reichen die Gebiete nicht aus,
um die Anforderungen der EU zu erfüllen.

Wenn die EU zu einem ähnlichen Ergebnis kommt, wie die Naturschutzverbände, dann
wird eine zweite Verurteilung teuer. Bis zu 750.000 Euro täglich bis zur Behebung
der Defizite könnte die EU von Deutschland erheben. Dies können leicht mehrere
Millionen Euro Strafe für Rheinland-Pfalz bedeuten.

Angesichts dieser Drohung und angesichts der klaren Aussage der EU, dass sich die
Länder mit den Naturschutzverbänden über die Gebiete abstimmen sollten, ist es für
die rheinland-pfälzischen Verbände unverständlich, dass ihr Gesprächsangebot im
Vorfeld vom Land nicht angenommen wurde. Offensichtlich war die Angst so groß,
dass landwirtschaftliche oder kommunale Interessensverbände Absprachen mit den
Naturschutzverbänden vorwerfen könnten.

Wenn es jetzt nicht zu substanziellen Nachbesserungen kommt, wird sich diese
Vorgehensweise spätestens bei 'Potsdam 2' Ende des Jahres rächen, so die Verbände
weiter. Dem Land wäre anzuraten, endlich eine einheitliche Linie mit den Verbänden
bei den FFH-Meldungen zu suchen.

Hintergrundinformationen:

Bisheriges Verfahren:
Das Land Rheinland-Pfalz hat im März 2001 (veröffentlicht im Ministerialblatt vom
6.12.2002) 74 Gebiete mit einer Fläche von 6,9 Prozent der Landesfläche als Teil
der deutschen Gebietskulisse für das europaweite Schutzgebietssystem NATURA 2000
gemeldet. Vom 11.-13. November 2002 fand in Potsdam das zweite biogeografische
Seminar zur kontinentalen Region der EU statt. Auf diesem Seminar beurteilte die
EU unter Teilnahme von Ländervertretern, unabhängigen Experten und
Naturschutzverbänden, ob die bisherigen Gebietsmeldungen ausreichend seien. Die
Beurteilung wurde in Deutschland vielfach auf die einzelnen Bundesländer bezogen.
Im Ergebnis waren in Rheinland-Pfalz Nachbesserungen für 27 Lebensraumtypen und 36
Arten erforderlich. Die EU forderte unter Fristsetzung bis Ende 2003 die Behebung
dieser Defizite. Einer von drei Vertretern der deutschen Naturschutzverbände war
Friedrich Wulf, Naturschutzreferent des NABU Rheinland-Pfalz. Auch deshalb sind
die rheinland-pfälzischen Defizite besonders gut herausgearbeitet.

Rheinland-Pfalz hat als eines der ersten Bundesländer auf diese Beschlüsse
reagiert und am 13.2.2003 im Ministerium für Umwelt und Forsten gegenüber
Kommunen, Landwirtschaft, Handel und Naturschutzverbänden angekündigt, diese
Defizite noch vor dem Sommer beheben zu wollen. Die vom Landesamt für Umweltschutz
und Gewerbeaufsicht (LfUG) vorbereitete Suchkulisse wurde am 16.5.2003 vorgestellt
und Gelegenheit zur Stellungnahme bis 16.6.2003 gegeben.

Drohung der EU:
Am 11.9.2001 wurde Deutschland erstmals vom EuGH wegen nicht ausreichender
FFH-Gebietsmeldung verurteilt. Nachdem in Potsdam die erheblichen Defizite
festgestellt wurden, hat die EU-Kommission im April 2003 ein zweites
Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Dies wird zu einer erneuten Anklage vor
dem EuGH führen, wenn die Defizite nicht vorher beseitigt werden. Bei einer
erneuten Verurteilung drohen Deutschland erhebliche Strafzahlungen. In einem Fall
hat die EU gegen Frankreich 1 Mill. DM pro Tag rückwirkend ab dem 1. Urteil bis
zum Beheben der Vertragsverletzung verhängt. Für Rheinland-Pfalz könnten so leicht
mehrere Millionen Euro zustande kommen.

Durch mehrfache Ermahnungen der EU, die Gebietskulisse abschließend zu melden,
zeigt sie, wie ernst ihr die Angelegenheit inzwischen ist. Wenn die in Potsdam für
notwendig befundenen Nachmeldungen nicht bis Jahresende 2003 erfolgt sind bzw. die
Gebietskulisse dann immer noch gravierende Defizite aufweist, muss damit gerechnet
werden, dass die EU das Verfahren vor dem EuGH durchzieht. Insbesondere die
Tatsache, dass die übrigen Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nachgekommen sind
(Aussage der EU: 'Germany is the only country who doesn’t play the game') macht
dieses Vorgehen aus Gerechtigkeitsgründen wahrscheinlich.

Weiteres Vorgehen:
Die EU erwartet die Gebietsmeldungen der Länder bis zum Sommer. Bereits im Herbst
will sie in sog. bilateralen Gesprächen mit den Ländern darüber sprechen. Danach
werden die Meldungen vom ETC/NC, der Umweltbehörde der EU analysiert. Den
Naturschutzverbänden wurde zugesagt, dass daran anschließend eine Konferenz wie in
Potsdam (mit den Naturschutzverbänden) diese Gebietsmeldungen überprüft. Dieses
Potsdam 2 wird voraussichtlich Ende 2003 stattfinden. Die Naturschutzverbände
werden dabei vom Naturschutzreferenten des NABU Rheinland-Pfalz, Friedrich Wulf,
vertreten und versuchen, die Defizite der Nachmeldungen erneut aufzuzeigen.

Maßstab für die Bewertungen:
Bei einem Treffen mit der EU haben die Verbände den Maßstab besprochen, mit dem
die FFH-Gebietsmeldungen bewertet werden sollen. Die Beurteilung richtet sich
danach,

• ob ausreichende Gebiete benannt wurden und
• ob diese angemessen geographisch verteilt sind.

Bei der Meldung von über 60 Prozent der Vorkommen wird i. A. von einer
ausreichenden, bei einem Grad von unter 20% von einer unzureichenden
Gebietskulisse ausgegangen. Meldungen zwischen 20-60 Prozent bedürfen einer
Einzelfalldiskussion.

Darüber hinaus müssen in allen Landesteilen, in denen die Lebensraumtypen und
Arten vorkommen auch angemessen Gebiete gemeldet werden. Es ist also nicht
ausreichend, wenn von einer Art 65 Prozent der Vorkommen gemeldet wurden, aber
z.B. der gesamte Westerwald oder die Eifel, kein Schutzgebiet für diese Art hat,
obwohl sie dort vorkommt.

Dieser Bewertungsmaßstab wurde auch von den rheinland-pfälzischen
Naturschutzverbänden für die Beurteilung der jetzigen Suchkulisse angewandt.
Danach kommen die Verbände zu folgendem Ergebnis:

Inhaltliche Würdigung der sog. Suchkulisse
Der Vorschlag der Landesregierung zur Vervollständigung der FFH-Kulisse fußt auf
einer systematischen, fachlich fundierten Analyse der bestehenden Datenlage
(Biotopkartierung, verfügbare Expertendaten zur Verbreitung von FFH-relevanten
Arten). Er bezieht sich dabei gezielt nur auf diejenigen Arten und
Lebensraumtypen, für die die EU im Ergebnis von Potsdam eine Nachmeldung erwartet.
Für die Gebietsauswahl sind nach Angaben des LfUG die Kriterien Größe von
Vorkommen, Seltenheit der Vorkommen, Vielfalt der FFH- Arten und –Lebensräume auf
engem Raum und räumliche Kohärenz von Vorkommen relevant gewesen. Mit diesem
Ansatz besitzt Rheinland-Pfalz einen der bundesweit fundiertesten
Gebietsvorschläge. Gerade die systematische Nachvollziehbarkeit ist ein von der EU
gefordertes Kernkriterium für eine befriedigende Gebietsmeldung.

Die Auswahlkriterien des LfUG spiegeln sich anhand der nun vorgelegten Karten und
Tabellen gut wieder. Alle gemeldeten Gebiete gehören in der Tat zu den für die
nachzumeldenden Lebensraumtypen und Arten bedeutsamsten Gebieten in Bezug auf
Größe, Seltenheit oder Kohärenz und sind oft gleichzeitig für eine Reihe der
nachzumeldenden Lebensraumtypen und Arten von Bedeutung. Jeder der in der
'Suchkulisse' enthaltenen Vorschläge ist von landesweiter Bedeutung und für die
Vollständigkeit der Gebietsmeldung unverzichtbar.

Positiv hervorzuheben sind vor diesem Hintergrund unter anderem die deutliche
Erhöhung des Erfüllungsgrades bei Fließgewässern (von 24 auf 63 Prozent), die
Aufnahme der bedeutsamsten Fledermausquartiere incl. zugehöriger Jagdhabitate
(meistens), die Nachmeldung vieler wesentlichen Habitate des Prächtigen Hautfarns
sowie die Benennung der wichtigsten Bläulingshabitate im Westerwald, um einige
Beispiele zu nennen.

Die Gebietskulisse ist dennoch nach wie vor nicht ausreichend und bedarf weiterer
Ergänzungen. Die Messlatte für die Aufnahme in die Suchkulisse wurde viel zu hoch
gelegt. Man hat sich daher zu sehr auf die besonders herausragenden Gebiete
konzentriert. Vielfach werden deswegen landesweit oder in einzelnen Regionen zu
wenige Gebiete gemeldet. Somit entspricht die Kulisse nicht den Anforderungen an
die Gewährleistung eines günstigen Erhaltungszustandes für diese Lebensraumtypen
und Arten.

Beispiele sind:
die Borstgrasrasen (obwohl z.B. im Hunsrück laut Biotopkartierung 86 Prozent der
allerbesten Flächen erfasst sind, sind dort insgesamt nur rund 45 Prozent aller
Flächen enthalten - zu wenig für einen so bedrohten Lebensraumtyp)

die Meldung von nach wie vor nur 17 Prozent aller Buchenwälder

der Prächtige Hautfarn, der trotz der bundesweiten Bedeutung von Rheinland-Pfalz
für die Erhaltung der Art in manchen naturräumlichen Haupteinheiten (nHE) nur zu
33 Prozent gemeldet wurde

Die Mausohrwochenstuben, von denen in der Region Trier nur die drei besten (von
15) gemeldet wurden

Neben dieser Hauptkritik sind weitere Punkte zu bemängeln:

Bei einigen Arten, zu denen Nachforschungen angestellt werden sollten,
("Scientific Reserve") ist nicht erkennbar, dass dies getan wurde (z.B. zum Luchs)

Ähnliches gilt für Arten mit geringem Nachmeldebedarf (I mod = Behebung des
Defizits durch Ergänzung der Standarddatenbögen), z.B. dem Grünen Besen- oder
Gabelzahnmoos (Dicranum viride), das in Rheinland-Pfalz trotz 12 aktueller
Vorkommen (zum Teil in der 'Suchkulisse') nicht ein einziges Mal aufgeführt wird.
Weitere Arten wie der Lachs sind in Gebieten nicht aufgeführt, in denen sie
vorkommen.

Bei einigen weiteren Arten wie dem Hirschkäfer (Lucanus cervus) oder dem Großen
Feuerfalter (Lycaena dispar) fehlen entscheidende Gebiete, weil die relevanten
Daten erst nach Redaktionsschluss des LfUG bei den Naturschutzverbänden eintrafen.

Bei weiteren Arten wie der Dicken Trespe (Bromus grossus) und Lebensraumtypen wie
den Niedermooren (7230) fehlt das landesweit zweit- oder drittbeste Gebiet, obwohl
die von den Verbänden genutzten Daten dem LfUG zur Verfügung standen.

Eine detaillierte Bewertung der einzelnen Lebensraumtypen und der einzelnen Arten
mit Nachmeldevorschlägen kann zur Verfügung gestellt werden.

Rückfragen an: Siegfried Schuch (NABU, Landesvorsitzender), Tel.: 06133-507988,
Friedrich Wulf (NABU, Naturschutzreferent), Tel.: 06131-1403922, Dr. Erwin Manz
(BUND, Landesgeschäftsführer), Tel.: 06131-231973, Thomas Isselbächer (GNOR),
Tel.: 06573-953660

Links zum Thema Landschaft und Natur,
Links zum Bundesland Rheinland-Pfalz.

 


zurück zur Übersicht  zum Seitenbeginn   

zur @grar.de Homepage

    
 

© Copyright 1997-2007 @grar.de, Rheine, http://www.agrar.de