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@grar.de Aktuell - 20.11.2002

Schweiz: Scharfe Kritik am Agrarbericht


Bern (agrar.de) - Scharfe Kritik üben die landwirtschaftlichen Verbände der
Schweiz am jüngsten Agrarbericht des dortigen Bundesamtes für
Landwirtschaft (BLW).

Das Bundesamt schlachte mit seinen Kommentaren die Veröffentlichung des
Agrarberichts 2002 politisch aus, beschönige die Situation und greife damit zu
einem sensiblen Zeitpunkt in unverhältnismässiger Weise in den politischen Prozess
ein, so der Schweizerische Bauernverband (SBV).

Das BLW ziehe in seinem Presserohstoff zur Darstellung der Einkommenssituation in
der Landwirtschaft die Grössen 'Landwirtschaftliches Einkommen' und
'Gesamteinkommen' herbei. Eigentlich seien sich die Agrarökonomen aber einig, dass
der 'Arbeitsverdienst je Familienarbeitskraft (= landwirtschaftliches Einkommen
abzüglich Zinsanspruch für im Betrieb investiertes Eigenkapital) die mit
nichtlandwirtschaftlichen Löhnen vergleichbare Grösse ist. Diese liege im
Durchschnitt 99/01 bei unter 34.000 Franken – ein Wert, dessen Erwähnung das BLW
lieber vermeide. Anstatt dessen verwende das Bundesamt wenig aussagekräftige
Grössen, welche die Öffentlichkeit zu Fehlinterpretationen veranlasse.

Der Rückgang des durchschnittlichen Gesamteinkommens der Betriebe um 4,2 Prozent
von 90/92 bis 99/01 werde damit abgetan, dass die Investitionen und der Cashflow
in der gleichen Grössenordnung und auch die Fremdkapitalquote leicht abgenommen
hätten. Kein Wort davon, dass die Bauernfamilien in dieser Zeit - unter
Berücksichtigung der aufgelaufenen Teuerung von 14,8 Prozent einbüssten.
Optimistischen Sätze wie 'Milch kann in allen Regionen rentabel produziert werden'
und 'Es besteht also ein Spielraum für Kostensenkungen oder Wachstum der Betriebe'
liessen die Frage offen, warum dies nur einem kleinen Teil der Betriebe
tatsächlich gelinge. Ebenso wenig werde eine Antwort auf die lapidare Feststellung
gegeben, dass 99/01 im Durchschnitt die finanzielle Situation bei rund 30 Prozent
der Betriebe ungenügend für die langfristige Sicherung der Existenz sei.

Auch die Landwirtschaftliche Organisation Bern und angrenzende Gebiete
(LOBAG) diagnostiziert Schönfärberei. Die harten Facts zur desolaten
finanziellen Lage der Landwirtschaft würden gekonnt beschönigt. Den Bauernfamilien
geht es seit 1990 keinen Deut besser. 'Haben hier die viel gepriesenen
Agrarreformen versagt?' fragt die LOBAG.

Ein Bauer verdient 2.819 Franken im Monat

Das landwirtschaftliche Einkommen ist auf einem Rekordtiefststand seit 1990/92.
2001 lag dieses bei 52.434 Franken, gegenüber 62.822 Franken in den Jahren 1990/92
und 64.675 Franken im Jahre 2000. Dies – wohlverstanden – inklusive
Direktzahlungen. Viel aussagekräftiger aber ist der Arbeitsverdienst je
Familienarbeitskraft, da dieser vergleichbar ist mit dem Monatseinkommen eines
Angestellten in vergleichbaren Branchen. Dieser Arbeitsverdienst lag im Jahre 2001
bei 2.819 Franken/Monat im Durchschnitt. In der Bergregion lag er sogar bei 1.962
Franken/Monat.

Die Eigenkapitalbildung der Bauernfamilien lag im Jahr 2001 bei lediglich 7.288
Franken, 66 Prozent tiefer als im Jahre 2000. Und 50 Prozent tiefer als im
Durchschnitt der Jahre 1998/99/2000. Das Cashflow-Investitionsverhältnis ist um
ganze 13 Prozent gesunken. Zudem wiesen 1/3 der landwirtschaftlichen Betriebe eine
negative Kapitalbildung auf, sie haben also ihr Eigenkapital 'verzehrt'.

Für die LOBAG bleibt die zentrale Frage unbeantwortet, ob es das erklärte Ziel der
Konsumentinnen und Konsumenten sei, 'runter auf EU-Preis-Niveau – hin zu einer
industrialisierten Landwirtschaft?' zu kommen. Es wäre sinnvoller, wenn innerhalb
einer Studie einmal untersucht werden könnte, wie sich unser Landschaftsbild
verändert, wenn tatsächlich auf EU-Preis-Niveau produziert werde. Und ob die
Tourismusbranche – ein weit gewichtigerer Wirtschaftsfaktor als die
Landwirtschaft – diese Veränderung ohne weiteres hinnehmen würde. Hier könnte ein
weit grösserer wirtschaftlicher Verlust entstehen, so der Verband.

Auch der Verband der Schweizer Milchproduzenten (SMP) sieht im
Agrarbericht 2002 - ein beschönigtes Bild der Schweizer Landwirtschaft. Das
Bundesamt für Landwirtschaft schrecke vor dem Resultat seiner eigenen Politik
zurück. Vielerorts sei bei der Auswahl der präsentierten Daten selektiv
vorgegangen worden. Es seien Grössen gesucht wurden, welche die negative
Entwicklung der Landwirtschaft verschleiern.

Daten zur Strukturentwicklung fehlten im Bericht fast vollständig. Es existiere
keine Tabelle, welche den Rückgang der Betriebe nach Kategorien aufschlüsselt.
Dass die Verkehrsmilchproduzenten den grössten Strukturwandel ertragen mussten und
überproportional viele aufgrund der verschärften Situation aufgegeben haben, werde
verschwiegen.

Die Analyse des BLW, dass die Einkommenssituation schon früher unbefriedigend
gewesen sei und dass Einkommenseinbrüche auch schon früher stattgefunden haben
wertet der Verband als wenig konstruktiven, kaum visionären und eher zynischen
Umgang mit der Situation.

Links zum Thema Agrarbericht und Statistik,
Links zum Land Schweiz.

 


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