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@grar.de Aktuell - 12.08.2002

DBU: Speicherpotenziale für den Schutz vor Hochwasser in der Landwirtschaft aktivieren


Dresden (agrar.de) - 'Vorbeugender Hochwasserschutz bietet in gefährdeten Regionen
eine praktikable Chance, nachhaltig und vorausschauend etwas gegen die Risiken zu
tun, anstatt sich nur auf Katastrophenmanagement und Schadenbegrenzung zu
beschränken!' - Dieses Fazit zog heute in Dresden Fritz Brickwedde,
Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), bei der
Abschlusspräsentation eines DBU-Forschungsprojektes zum vorbeugenden
Hochwasserschutz . Am Beispiel der Lausitzer Neiße hatten Experten der
Landwirtschaft, Bodenkunde, Wasserwirtschaft und Raumordung unter Leitung von
Prof. Dr. Friedhelm Sieker, Universität Hannover, nachgewiesen, dass die
Wiederbelebung des Bodens als Wasserspeicher insbesondere in der Landwirtschaft
neue Wege für den Hochwasserschutz eröffnet und durch konservierende
Bodenbearbeitung ein Hochwasserspeicher mit einer Million Kubikmeter
Fassungsvermögen geschaffen werden kann, ohne auch nur einen Quadratmeter Flussaue
dafür in Anspruch zu nehmen. 'Das Hochwasser dort zu bekämpfen, wo es entsteht,
anstatt nur die Schäden zu begrenzen', muss nach Siekers Worten das Ziel des
künftigen Hochwassermanagements sein. Die DBU förderte das Forschungsvorhaben mit
350.000 Euro.

Das Grundprinzip des Hochwasserschutzes ist nach Siekers Worten eigentlich sehr
einfach: Für das Niederschlags- oder Schmelzwasser müssen Speicher gefunden
werden, in denen das Wasser bis zu seinem Abtransport durch Bäche und Flüsse
verweilen kann. Trotz dieses einfachen Prinzips sei es bis heute nicht gelungen,
einen ausreichenden Hochwasserschutz in Deutschland zu verwirklichen.

Sieker: 'Schlimmer noch: Es scheint, dass wir uns in den letzten Jahren von diesem
Ziel noch entfernt haben, da die Häufigkeit der Hochwasserereignisse mit
erheblichen Schäden offensichtlich zugenommen hat. Die Konsequenz der
alljährlichen Hochwasserkatastrophen muss daher lauten: Wir brauchen größere
Speicher für das Regenwasser oder mehr Abflusskapazitäten für die Bäche und
Flüsse.'

So berechtigt diese Forderungen seien, so schwer scheine ihre Umsetzung zu sein.
Der Ausbau von Flüssen und Bächen sei kostspielig und stehe im Gegensatz zu den
ökologischen Bestrebungen des Gewässerschutzes. Der Bau konventioneller
Hochwasserspeicher sei nicht weniger kostenintensiv, schließlich geht es hierbei
um Speicher von mehreren tausend Kubikmetern Fassungsvermögen. Erschwerend komme
bei der Planung von Speicherbecken ein enormer Flächenbedarf hinzu und zwar in
Gebieten, in denen viele andere Flächennutzungen in Konkurrenz träten. Die Flächen
der Flusstäler würden intensiv durch Siedlungen, Industrie und Landwirtschaft
genutzt und nur ungern von den betroffenen Gemeinden für den Hochwasserschutz
reserviert. Es falle schwer, Gemeinden von konventionellen Hochwassermaßnahmen zu
überzeugen, da ihr Engagement nicht ihnen, sondern den Gemeinden flussabwärts
zugute komme - für soviel Uneigennützigkeit fehle den meisten Gemeinden das Geld.
Sieker: 'Die Verbesserung des Hochwasserschutzes droht im Geflecht aus Ökonomie,
Ökologie und Verwaltungsgrenzen stecken zu bleiben.'

Das DBU-Forschungsprojekt habe einen Ansatz gewählt, mit dem dieser Gordische
Knoten durchschlagen werden könne. Unabhängig davon, ob es sich um Städte oder
landwirtschaftliche Betriebe handele, hätten die hier betrachteten Maßnahmen des
vorbeugenden Hochwasserschutzes den Vorteil, dass sie sowohl dem nutzten, der sie
ergreife, als auch den Anliegern flussabwärts.

Eine zweite Eigenschaft, mit der sich der vorbeugende Hochwasserschutzes vom
konventionellen Hochwasserschutz grundsätzlich unterscheide, sei die Art des
Speichers. Auf der Suche nach mehr Speichervolumen für Regenwasser lohne es sich,
über den Rand der Flusstäler hinauszuschauen und einen Speicher wiederzubeleben,
der einen der größten natürlichen Wasserspeicher auf dem Land darstelle - den
Boden.

In Siedlungsgebieten lasse sich der Bodenwasserspeicher mit Hilfe der dezentralen
Regenwasserbewirtschaftung aktivieren. Dabei werde das Niederschlagswasser von
Dach- und Verkehrsflächen über sogenannte Mulden-Rigolen-Systeme in den Untergrund
versickert und fließe von dort allenfalls stark verzögert Bächen und Flüssen zu.
Dagegen nehme man bei der konventionellen Regenentwässerung durch Kanäle in Kauf,
dass der Boden unter Städten als Wasserspeicher verloren gehe. Häufig werde in
diesem Zusammenhang die zunehmende Versiegelung der Landschaft pauschal als Grund
für die Häufung der Hochwasser genannt. Aus der Sicht des Hochwasserschutzes sei
es jedoch das falsche System der Entwässerung, das zu negativen Folgen führe.

Dass es auf Ackerflächen notwendig sei, durch gezielte Maßnahmen den
Bodenwasserspeicher zu erschließen, überrasche auf den ersten Blick - schließlich
seien landwirtschaftliche Flächen abgesehen von den Wirtschaftswegen unversiegelt.
Untersuchungen der Sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL)
zeigten aber, dass konventionell bearbeitete, also gepflügte Ackerflächen weit
weniger Wasser aufnehmen könnten als Wald- oder Wiesenböden. Ursache hierfür sei
die durch das Pflügen gestörte Bodenstruktur. In ihrem Bemühen, den erhöhten
Abfluss auf der Oberfläche und die damit einhergehende Bodenerosion auf den
sächsischen Lößböden zu verringern, seien die Experten der LfL auf die
konservierende Bodenbearbeitung gestoßen.

Bei dieser auch als Mulchsaat-Technik bezeichneten Form des Ackerbaus verblieben
Ernterückstände auf dem Feld und würden, statt untergepflügt zu werden, nur
oberflächlich in den Boden eingearbeitet. Das Resultat seien mehr Bodenorganismen,
eine stabilere Bodenstruktur, mehr Wasseraufnahmefähigkeit selbst bei extremen
Niederschlagsmengen und somit ein optimal genutzter Bodenspeicher unter
Ackerflächen.

Es bleibe zu beantworten, wie groß das Speichervolumen des reaktivierten Boden nun
tatsächlich sei und welche Auswirkungen die Aktivierung dieses Speichers auf
Hochwasser der Vergangenheit gehabt hätte. Dies sei die zentrale Frage dieses
Forschungsvorhabens gewesen und habe konkret für das Beispiel Lausitzer Neiße im
Bereich zwischen Zittau und Görlitz beantwortet werden sollen. Basierend auf den
Untersuchungen und Analysen von Bodenkundlern und Landwirtschaftsexperten
erstellten Wasserwirtschaftler ein Computermodell, das in der Lage sei, die Wege
des Wassers im Einzugsgebiet der Lausitzer Neiße detailliert nachzubilden. Je nach
Art der Landnutzung, Bodenbeschaffenheit und Topographie könne mit dem Computer
berechnet werden, wie sich der vorbeugende Hochwasserschutz auswirke. Die
Computer-Berechnungen hätten die Bestätigung dafür geliefert, dass der
Wasserspeicher Boden ein entscheidender Faktor bei der Bekämpfung von Hochwasser
sei.

Würden 25 Prozent der Ackerfläche im deutschen Einzugsgebiet der Lausitzer Neiße
mit Mulchsaat-Technik bewirtschaftet, würde sich die abfließende Wassermenge bei
mittleren und extremen Hochwassern um drei bis vier Prozent verringern. Sieker:
'Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass eine Million Kubikmeter weniger Wasser in
der Hochwasserwelle abfließen.' Ein Beispiel, das deutlich mache, wie wirksam der
vorbeugende Hochwasserschutz sei, der damit Gemeinden in den Tälern der
Nebenflüsse und der Lausitzer Neiße neue Wege zum Hochwasserschutz eröffne. Ganz
konkret sei in diesem Projekt der Fall der Stadt Ostritz mit dem Kloster St.
Marienthal untersucht worden, die in der Vergangenheit mehrfach von Hochwasser
heimgesucht worden seien.

25 Prozent konservierende Bodenbearbeitung entschärften nachhaltig die
Hochwassersituation im Neißetal. Dadurch werde eine zurzeit umstrittene
Eindeichung für das Kloster und die Stadt möglich, ohne dass es durch den Verlust
von diesen bisherigen 'Überschwemmungsflächen' zu einer sonst zu erwartenden
Verschärfung der Hochwassersituation flussabwärts komme.

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