Aktuelle Meldungen  -  Nachricht suchen  -   kostenloses Abo  -   Nachricht weiterempfehlen

 

@grar.de Aktuell - 19.02.2002

BioCASE: Europäisches Informationssystem über biologische Vielfalt


Berlin (agrar.de) - Die gesamte Vielfalt und Variabilität organismischen Lebens
bezeichnet man als Biodiversität. Sie beinhaltet die Mannigfaltigkeit von Genen,
Individuen, Populationen, Arten, Gesellschaften und Ökosystemen. Der globale
Zugang zu den Informationen über die Existenz, die Vielfalt, die Bedrohung und den
Schutz des Lebens auf unserem Planeten ist von entscheidender Bedeutung für die
zukünftige Entwicklung der Menschheit. Im Botanischen Garten und Botanischen
Museum (BGBM) der Freien Universität Berlin hat unter Leitung von Prof. Dr. Walter
Berendsohn, Abteilungsleiter der Arbeitsgruppe Biodiversitätsinformatik, das auf
drei Jahre angelegte Projekt BioCASE (Biodiversity Collection Access Service for
Europe) begonnen. Darin soll durch die digitale Verknüpfung von Informationen und
Daten der biologischen Sammlungen Europas ein einheitliches Zugangssystem für die
hier dokumentierte Vielfalt organismischen Lebens entwickelt werden. Die
Biologischen Sammlungen umfassen sowohl Lebendsammlungen in botanischen und
zoologischen Gärten und Kulturensammlungen (Bakterien, Pilze u.a.) als auch die
konservierten Präparatesammlungen in Naturkundemuseen und Herbarien sowie die
Datensammlungen von Observationen bestimmter Arten an einem bestimmten Ort (z.B.
Beringungsdaten, Verbreitungskartierungen).

An dem Projekt, das von der Europäischen Kommission gefördert wird, arbeiten 35
Institutionen aus 30 europäischen Ländern und aus Israel mit. Zu den
Projektteilnehmern gehören zoologische Institute und Museen, botanische Gärten,
naturkundliche Museen, Universitäten, Akademien und andere biologische und
ökologische Forschungsstellen aus allen Teilen Europas.

Durch die schnelle Zunahme der vorhandenen Informationen ist es einem
Wissenschaftler, der sich früher noch durch Lesen von Literatur einen Überblick
über ein biologisches Fachgebiet verschaffen konnte, heute nicht mehr möglich,
ohne entsprechende Informationstechnologien die zunehmende Vielfalt zu überschauen
und herauszufinden, wo Informationen zu diesem Gebiet zugänglich sind.

Die Biodiversitätsinformatik, eine neue, am BGBM besonders vorangetriebene
wissenschaftliche Disziplin, beinhaltet die Anwendung von informatischen
Analysemethoden und Informationstechnologien auf die vorhandenen biologischen
Daten sowie deren Verknüpfung mit anderen, z.B. geographischen und ökologischen
Daten. Die Daten werden digital erfasst und verwaltet, d.h. gespeichert,
indiziert, abgefragt, analysiert, integriert, visualisiert und publiziert. Dadurch
werden sie potentiellen Nutzern aus allen Bereichen der Wissenschaft, Industrie
und Gesellschaft zugänglich.

Probleme ergeben sich dabei durch die generell hohe Komplexität biologischer
Systeme und durch die heterogenen und dezentral in ganz Europa bereits digital
oder anders erfassten Datenbestände. Zwar existieren über bestimmte biologische
Fachgebiete bereits digitale Informationssysteme. So haben sich etwa die Hälfte
aller anerkannten Zoos und Aquarien der Welt (576 Institutionen aus 54 Ländern) im
"International Species Information System" zusammengeschlossen. Darin sind
Informationen zu über 1,4 Millionen lebenden Tieren und ihrer Vorfahren enthalten
(ca. 8.000 Arten). Die Datenbank lässt sich über wissenschaftliche Namen
(Gattung/Art) oder englische Trivialnamen abfragen.

Eine vergleichbare Zusammenarbeit gibt es bei den meisten anderen Sammlungen noch
nicht. Es fehlen Standards bei der Informationserfassung, eine klare
Strukturierung der Informationen und die Verknüpfung zwischen den bestehenden
Datenbeständen. Somit ist ein globaler, einheitlicher Zugriff auf alle bisher
vorhandenen Daten nicht möglich. Hier setzt das Projekt BioCASE an.

Das Projektziel ist die Erhöhung der Nutzbarkeit der biologischen Sammlungen für
die Umweltwissenschaften, die biologische Systematik und allgemein die
Biowissenschaften. Das soll durch die Entwicklung eines trag- und ausbaufähigen
Informationsservices erreicht werden, der den Nutzern einen einheitlichen Zugriff
zu allen europäischen Sammlungen bei gleichzeitigem Schutz der Urheberrechte
ermöglicht.

Die Projektentwicklung und die Organisation der Daten basiert auf den folgenden
Grundpfeilern.

1.) Organisation des Informationsflusses: Hier bilden sich in den einzelnen
Ländern nationale Knotenpunkte, die als leicht erreichbare Kontaktstellen für die
in diesen Ländern existierenden Sammlungen fungieren und die die Organisation der
Erfassung von Informationsprofilen übernehmen. Dazu wird vom Projekt eine Software
entwickelt werden, die die Erfassung und den Austausch der Daten mit dem
Zentralsystem und die standardisierte Datenerfassung ermöglicht. Die nationalen
Knotenpunkte liefern standardisierte Beschreibungen der Sammlungsinstitute und der
Sammlungen selbst an das Zentralsystem. Diese werden dort weiterverarbeitet, z.B.
durch Verknüpfung mit weiteren Informationen von anderen Knotenpunkten und durch
eine Verschlagwortung. Die Daten werden dann über eine Abfrageschnittstelle auf
dem WWW zur Verfügung gestellt und fließen mit erhöhter Qualität wieder zurück an
die nationalen Schnittstellen. Neu entstandene nationale Knoten und Netzwerke
sollen mit existierenden und fortgeschrittenen in Kontakt gebracht werden, um
einen Technologietransfer zu erreichen.

2.) Entwicklung des Thesaurus (des Wortschatzes): Hier sollen existierende
Datenkataloge weiterentwickelt und erweiterbare Thesauri als Hilfe zum
Informationszugang geschaffen werden, vor allem unter taxonomischen und
geo-ökologischen Gesichtspunkten. Die Taxonomie ordnet mit Hilfe verbindlicher
Regeln für die biologische Nomenklatur den Organismen, Arten, Gattungen, Familien
etc. eindeutige Namen zu. Die als Folge der biologischen Evolution entstandene,
natürliche hierarchische Ordnung aller Lebewesen bietet einen hervorragenden
Schlüssel zur Klassifizierung der Organismen. Das Ziel der Entwicklung ist die
adäquate Darstellung von fachübergreifenden, aufeinander aufbauenden sowie auch
von ungenau und unvollständig vorliegenden Daten.

3.) Nutzeroberfläche und Indizierung der Daten: Eine auf dem WWW basierende
einheitliche Benutzeroberfläche wird den Zugang zu den stark dezentralisierten und
uneinheitlichen Basisdaten ermöglichen. Dabei kommt der sich entwickelnde
Thesaurus zum Einsatz, um eine effektive Verschlagwortung sowie eine
datengestützte Benutzerführung zu ermöglichen. Alle Anwendungen fließen im
Zugangsknoten zusammen und ermöglichen so die Verknüpfung aller eingegangenen
Daten.

4.) Berücksichtigung der Benutzerinteressen: Die im Projekt vereinigten
Institutionen beschäftigen Hunderte von Forschern aus den vielfältigsten
Fachgebieten. Ihre unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse fließen über eine
eigenständige Nutzergruppe in das Datensystem ein. Diese Gruppe liefert während
der gesamten Projektlaufzeit ein kontinuierliches Feedback. Dadurch wird die
ständig Entwicklung und Verbesserung der Benutzeroberfläche im Hinblick auf die
Bedürfnisse der Anwender ermöglicht.

5.) Vermarktung und Urheberrechte: Es soll ein Vermarktungsmodel entwickelt
werden, um den Informationsservice auch nach Beendigung des Projektes
aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig muss die Frage der Sicherung von Urheberrechten
in Zusammenarbeit mit allen Teilnehmern geregelt werden.

Erwartete Innovationen: BioCASE realisiert die Zusammenfassung, Verknüpfung, und
Standardisierung der in den biologischen Sammlungen Europas vorhandenen
Datenbestände, fördert die globale Verbreitung der wissenschaftlichen
Informationen zur Artenvielfalt der Erde und ermöglicht potentiellen Nutzern aus
allen Bereichen der Gesellschaft den Zugang zu großen Mengen existierender und neu
hinzukommender Biodiversitätsdaten. Dabei werden die bis heute vorhandenen
Schwierigkeiten, wie unterschiedlicher Stand der IT-Entwicklung, Lücken in der
fachübergreifenden Kommunikation, vereinzelte Lösungen und lokale Unterschiede
zwischen den Sammlungen überwunden.

Durch das Projekt entsteht ein Europäisches Informationssystem, das den Zugang zu
den weit verteilten Informationsquellen vereinheitlicht, und das durch eine
ausbaufähige Nutzeroberfläche den unterschiedlichsten Anwendern zugänglich sein
wird.

Links zum Thema Biodiversität.

 


zurück zur Übersicht  zum Seitenbeginn   

zur @grar.de Homepage

    
 

© Copyright 1997-2007 @grar.de, Rheine, http://www.agrar.de