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@grar.de Aktuell - 13.12.2001

DFG-Kommission nimmt Stellung zur Einführung von GVO-Schwellenwerten


Bonn (agrar.de) - Stellungnahme der Senatskommission zur Beurteilung von Stoffen
in der Landwirtschaft (SKLW) der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG):

In Europa wird derzeit über die Einführung von Schwellenwerten für Einträge
transgener DNA aus gentechnisch veränderten Pflanzen (GVP) diskutiert. Die Fragen,
die sich bei der Einführung von Schwellenwerten ergeben, wurden anlässlich eines
Fachgesprächs der DFG-Senatskommission zur Beurteilung von Stoffen in der
Landwirtschaft am 30.-31.8.2001 in Bonn diskutiert. Eine ausführliche
Dokumentation über die Inhalte und Ergebnisse des Fachgesprächs ist für Anfang
2002 vorgesehen. Die wichtigsten Ergebnisse des Fachgesprächs sind vorab im
Folgenden zusammengefasst.

Die neue EU-Richtlinie 2001/18/EG eröffnet die Möglichkeit, in einem
gemeinschaftlichen Verfahren mit den EU-Mitgliedsländern Schwellenwerte für
technologisch unvermeidbare und zufällige Beimischungen von Rohstoffen aus
gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zu beschließen, die in der EU zugelassen
sind. Die EU-Kommission plant eine Verordnung, in der Schwellenwerte für Lebens-
und Futtermittel sowie für Saatgut festgelegt werden. Für Lebens- und Futtermittel
wird ein Schwellenwert von 1 Prozent vorgeschlagen. Für Saatgut sind abgestufte
Schwellenwerte von 0 Prozent, 0,3 Prozent, 0,5 Prozent und 0,7 Prozent in der
Diskussion. Bei Überschreitung der Schwellenwerte müssen die entsprechenden
Produkte gekennzeichnet werden. Eine derartige Kennzeichnung erhöht nach Ansicht
der Senatskommission weder die Sicherheit der Nahrungsmittel, noch dient sie der
Information des Verbrauchers über mögliche Risiken. Vielmehr wird damit dem Recht
des Verbrauchers Rechnung getragen, über die Art und Weise der Herstellung von
Lebens- und Futtermitteln informiert zu werden (right to know) und seine freie
Wahl treffen zu können (Verbrauchersouveränität). Dieses Recht hat einen hohen
Stellenwert. Auf der anderen Seite dürfen Schwellenwerte den
verantwortungsbewussten Einsatz der Gentechnik in Landwirtschaft, Lebens- und
Futtermittelindustrie nicht be- oder gar verhindern.

Bei dem großflächigen Anbau von GVP auf derzeit mehr als 40 Millionen ha weltweit
sind bisher keine Risiken für Mensch, Tier oder Umwelt bekannt geworden, die über
die Risiken hinausgehen, die mit der Nutzung herkömmlich gezüchteter Pflanzen
verbunden sind. Vor der Freisetzung werden GVP hinsichtlich ihres Risikos intensiv
bewertet. Auf den Einzelfall bezogen können strikte Isolationsmaßnahmen festgelegt
werden. Ein Austrag von gentechnischen Veränderungen z.B. über Pollen kann
erforderlichenfalls völlig unterbunden werden.

Der Schwellenwert von 1 Prozent in Lebens- und Futtermitteln entspricht der
Erkenntnis, dass durch einen verstärkten Anbau von GVP eine Anreicherung von
GVP-Material innerhalb der Produktionskette (Pflanzenanbau, Ernte, Transport,
Lagerung und Verarbeitung) stattfindet und damit niedrigere Schwellenwerte (unter
0,5 Prozent) praktisch nicht eingehalten werden können. Auch ergeben sich
erhebliche technische Probleme beim Nachweis von sehr geringen Beimischungen von
gentechnisch veränderten Rohstoffen in Lebensmitteln.

Sehr niedrige Schwellenwerte hätten erhebliche Konsequenzen, nicht nur für die
ökologische Sicherheitsforschung, sondern darüber hinaus für die gesamte
molekularbiologische Forschung an Pflanzen, insbesondere für die Genomforschung.
Sie würden dazu führen, dass kaum noch landwirtschaftlich genutzte Flächen für die
Freisetzung von GVP zur Verfügung stünden. Ein Schwellenwert von 0 Prozent
(Nulltoleranz) würde die Arbeit mit GVP im Freiland zum Erliegen bringen, mit
gravierenden Konsequenzen für die Forschung an Nutzpflanzen in Europa.

Bei der Festlegung von Schwellenwerten von GVP-Beimischungen in Saatgut muss
berücksichtigt werden, dass die Produktion unter naturnahen Bedingungen im
Freiland stattfindet. Dabei kann es je nach Pflanzenart zu Fremdeinstäubungen und
zum Durchwuchs von Pflanzen der gleichen Art kommen. Beides ist unvermeidbar und
führt in jedem Fall zu einem gewissen Fremdbesatz von GVP-Samen in konventionell
erzeugten Sorten. Schwellenwerte unter 1 Prozent hätten starke Auswirkungen auf
die Saatgutproduktion. Es sollte daher darüber nachgedacht werden, ob höhere
Schwellenwerte tatsächlich dem Recht des Verbrauchers, über die Herstellung von
Nahrungsmitteln informiert zu werden, entgegenstehen.

Der Aufwand zur Überwachung von Schwellenwerten ist erheblich. Er steigt
überproportional an, je niedriger die Schwellenwerte festgesetzt werden. Damit
erklärt sich auch die Fehlerquote bei der Bestimmung des GVP-Anteils. Aus Sicht
der Senatskommission besteht erheblicher Forschungsbedarf, bisherige
Nachweisverfahren weiter zu entwickeln und insbesondere microarray-Techniken zum
gleichzeitigen Nachweis verschiedener GVP für den Routineeinsatz zu entwickeln.
Schwellenwerte für GVP-Einträge in Lebens- und Futtermitteln sowie Saatgut sind
mit den bisherigen Grenzwerten für Schadstoffe nicht vergleichbar. Diese
Grenzwerte werden für Stoffe festgesetzt, die eine messbare biologische Reaktion
zur Folge haben (z.B. LD50-Rate). Die Aufnahme von DNA aus GVP-Einträgen, wie im
gleichen Maße auch DNA aus konventionellen Pflanzen, bewirkt aber bei Mensch und
Tier keine biologische Reaktion. Damit besteht aus toxikologischer Sicht keine
Notwendigkeit für Grenzwerte. Der substantielle Unterschied zwischen
Gentechnik-Schwellenwerten sowie herkömmlichen Grenzwerten muss in der
Gesetzgebung deutlich gemacht werden.

Die vorgesehenen EU-Regelungen zu Schwellenwerten können nur eine Teillösung sein.
Sie lassen die weltweiten Handelswege für Saatgut und Erntegut (Lebens- und
Futtermittel) außer Betracht. Mit dem 'Cartagena-Protocol on Biosafety to
the Convention on Biological Biodiversity
' wurden völkerrechtlich verbindliche
Mindestanforderungen an die Sicherheitsüberprüfung und Zulassung von GVO
geschaffen. Darin wird einerseits eine gegenseitige Anerkennung der Zulassung
gefordert, andererseits sind keine Schwellenwerte vorgesehen, unterhalb derer ein
Verkehr von Saat- und Erntegut mit geringen GVO-Einträgen toleriert wird. Aus
wissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Grund, niedrigere Schwellenwerte oder gar
eine Nulltoleranz für Einträge von gentechnischen Veränderungen aus GVP
vorzusehen, die in Staaten außerhalb der EU nach gleichwertigen Kriterien geprüft
und zugelassen sind, in der EU jedoch (noch) nicht zugelassen wurden.

Zusammenfassend stellt die Senatskommission fest,

- dass Schwellenwerte für GVP-Einträge keine wissenschaftliche Grundlage haben,
ihre Einführung aber aus Sicht der Verbrauchersouveränität und aus Gründen der
Rechtssicherheit erforderlich ist,

- dass Schwellenwerte nicht die Sicherheit für den Verbraucher erhöhen, aber
seiner Information dienen,

- dass sehr niedrige Schwellenwerte gravierende negative Auswirkungen auf die
Forschung sowie die weitere Entwicklung von GVP haben und

- dass Schwellenwerte einen hohen Aufwand zum Nachweis von GVP-Einträgen
erfordern, der mit den bisherigen behördlichen Überwachungskapazitäten nicht zu
bewältigen ist.

Daraus leitet die Senatskommission folgende Empfehlungen ab:

- Bei der Festsetzung der Höhe der Schwellenwerte sollte mit größter Sensibilität
vorgegangen werden, um einerseits dem Recht des Verbrauchers nach vollständiger
Information über die Erzeugung von Nahrungs- und Futtermitteln nachzukommen und
andererseits die verantwortungsvolle Weiterentwicklung und Nutzung der Gentechnik
in der Landwirtschaft sowie in der Lebens- und Futtermittelindustrie nicht zu
verhindern.

- Es sollte ein einheitlicher Schwellenwert nicht unter 1 Prozent für Saatgut
festgelegt werden.

- Die Sicherheitsbewertung des Eintrages von gentechnischen Veränderungen bei
Freisetzungen von GVP in benachbarte Pflanzenbestände sollte wie bisher auf die
einzelne Freisetzung bezogen werden.

- Die Senatskommission sieht einen hohen Forschungsbedarf bei der Entwicklung von
Nachweistechniken für sehr geringe GVP-Einträge. Die Entwicklung von
microarray-basierenden Verfahren sollte verstärkt gefördert werden. Schwellenwerte
für transplastome GVP wären zur Zeit überhaupt nicht einzuhalten, weil ein exakter
Nachweis wegen der hohen Kopienzahl pro Zelle unmöglich ist.

- Weiterhin wird hoher Forschungsbedarf bei der Entwicklung von Verfahren zur
Probenahme gesehen. Dies gilt nicht nur für die Probenahme von Saatgutpartien,
sondern auch für Lebens- und Futtermittel.

Wissenschaftlich begründete Handlungsanweisungen zur Vermeidung von GVP-Einträgen
sind dringend erforderlich, um die vorgeschlagenen Schwellenwerte auch bei einem
zukünftig verstärkten Anbau von GVP sicher einhalten zu können.

Links zum Thema Biotechnologie und Novel Food,
Links zum Thema Forschung.

 


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