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@grar.de Aktuell - 16.01.2001

Agrarökonomen mahnen zur Vernunft in der Agrarpolitik


Göttingen (agrar.de) - 42 Professoren der Agrarökonomie haben sich in einer
Erklärung zur agrarpolitischen Wende geäußert, die jetzt von der
Bundesregierung geplant ist. Sie haben die Sorge, daß diese Pläne die
Zukunft der deutschen Landwirtschaft gefährden, ohne das Problem zu beheben,
das in der BSE-Krise entstanden ist. Die Professoren unterstützen die
Forderung nach mehr Verbraucherschutz, glauben aber, daß eine massive
Förderung der Öko-Landwirtschaft dazu keinen Beitrag leistet. Die Ursachen
der BSE-Krise liegen nicht in der konventionellen Landwirtschaft, sondern in
Versäumnissen des Staates.

Die Professoren würden eine Ausweitung des ökologischen Landbaus begrüßen,
wenn die Verbraucher das wollen. Sie warnen aber vor einer Bevormundung der
Verbraucher durch den Staat. Die unbestrittenen Leistungen der Öko-Betriebe
für die Umwelt könnten auch von konventionellen Landwirten erbracht werden,
oft kostengünstiger. Die Kritik an den 'Agrarfabriken' und an
'industrieller Landwirtschaft' ist zwar populär, aber in der deutschen
Landwirtschaft nicht sachgerecht.

Eine einseitige Förderung des Öko-Landbaus gefährdet die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft und läßt sie dauerhaft von
staatlichen Subventionen abhängig werden.

Die Erklärung hat den folgenden Wortlaut:

Brauchen wir eine Neuorientierung in der Agrarpolitik?

Erklärung von Agrarökonomen

In Reaktion auf die BSE-Krise fordern führende Politiker in Deutschland eine
Neuorientierung der Agrarpolitik, vor allem eine Abkehr von den
'Agrarfabriken' und der 'industriellen Landwirtschaft' und eine Hinwendung
zum ökologischen Landbau als Leitbild für die Zukunft der Landwirtschaft.
Als Agrarökonomen haben wir die Sorge, daß eine solche - bei vielen Bürgern
gewiß populäre - Wende in der Agrarpolitik die Zukunft der deutschen
Landwirtschaft gefährdet, ohne das Problem zu beheben, das Anlaß für diese
Veränderung der Politik war. Wir haben keinen Grund, die bisherige
Agrarpolitik zu verteidigen, denn wir haben sie oft kritisiert.

Sie hat in Verfolgung sektoraler Interessen oft Gebote der wirtschaftlichen
Vernunft außer Acht gelassen. Wir unterstützen das Bestreben, in Zukunft
mehr Wert auf den Verbraucherschutz, die Sicherheit unserer Nahrungsmittel
und auf artgerechte Tierhaltung zu legen und erkennen in dieser Hinsicht die
Notwendigkeit von Veränderungen. Wir sind aber nicht davon überzeugt, daß
die jetzt angestrebte Agrarpolitik einen Beitrag zu diesem Ziel leisten
kann, sondern halten sie für verfehlt.

Wir weisen in diesem Zusammenhang auf folgende Aspekte hin.

1. Die Ausbreitung der BSE-Krankheit ist offensichtlich durch Futtermittel
erfolgt. Die Verantwortung dafür tragen im wesentlichen nicht die
konventionell wirtschaftenden Landwirte oder eine 'industrielle
Landwirtschaft', sondern einerseits der Staat, der gefahrbringende
Futtermittel zunächst nicht rechtzeitig verboten und später Verstöße gegen
die Verbote nicht hinreichend kontrolliert und nicht mit ausreichenden
Strafen belegt hat. Verantwortung tragen auch diejenigen Hersteller von
Futtermitteln, die Vorschriften nicht beachtet haben. Eine Abwendung von der
konventionellen Landwirtschaft zugunsten eines neuen Leitbildes ist deshalb
als Reaktion auf die BSE-Krise nicht sachgerecht.

2. Ökologisch wirtschaftende landwirtschaftliche Betriebe wurden auch bisher
schon mit agrarpolitischen Maßnahmen gefördert. Die zur Verfügung stehenden
Haushaltsmittel haben die Landwirte teilweise noch nicht einmal
ausgeschöpft. Daß der Öko-Landbau bisher nur einen sehr kleinen Anteil der
Landwirtschaft ausmacht, liegt in erster Linie an den Entscheidungen der
Verbraucher, die Bio-Produkte nicht in stärkerem Maße gekauft haben. Die
Politik würde sich also über die Wünsche der Verbraucher hinwegsetzen, wenn
sie die ökologische Landwirtschaft deutlich ausweitet, ohne daß für ihre
Produkte eine ausreichende Nachfrage vorhanden ist. Wir würden eine
Ausweitung des ökologischen Landbaus begrüßen, wenn sie durch die
Marktnachfrage und Zahlungsbereitschaft der Verbraucher ausgelöst wäre. Eine
Bevormundung der Verbraucher halten wir aber für falsch.

3. Eine Politik gegen den Verbraucherwillen wäre möglicherweise
gerechtfertigt, wenn auf diese Weise in Zukunft Probleme ausgeschlossen
werden könnten, wie sie jetzt zur BSE-Krise geführt haben. Das ist nicht der
Fall. Es gibt keine Garantie dafür, daß BSE nicht auch in ökologisch
wirtschaftenden Betrieben auftreten kann, und in anderen Ländern ist das
bereits geschehen. Auch gibt es keinen Nachweis dafür, daß Nahrungsmittel,
die in Öko-Betrieben erzeugt werden, grundsätzlich für die Gesundheit des
Verbrauchers besser sind als Produkte aus konventionell wirtschaftenden
Höfen. Eine staatlich forcierte Ausweitung des ökologischen Landbaus läßt
sich mit Argumenten des Verbraucherschutzes nicht begründen.

4. Der Öko-Landbau ist zweifellos eine umweltfreundliche Form der
Landbewirtschaftung. Auch die konventionelle Landwirtschaft kann jedoch bei
entsprechender Förderung gezielte Umweltleistungen erbringen, oft
kostengünstiger als der ökologische Landbau. Die Umweltpolitik sollte
vergleichbare Umweltleistungen gleich fördern, unabhängig davon ob sie im
ökologischen Landbau oder in der übrigen Landwirtschaft erbracht werden.

5. Eine einseitige agrarpolitische Bevorzugung bestimmter Formen von
Landwirtschaft verzerrt den Wettbewerb und schwächt die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit der gesamten Landwirtschaft. Sie läuft deshalb dem Ziel
zuwider, die Landwirtschaft auf längere Sicht von staatlicher Unterstützung
unabhängig zu machen. Die Reformen der EU-Agrarpolitik haben in den letzten
Jahren durch den Abbau der Preisstützung einen Prozeß eingeleitet, an dessen
Ende eine international wettbewerbsfähige
Landwirtschaft stehen könnte, wie sie von vielen Seiten immer wieder
gefordert worden ist. Dieser Prozess sollte angesichts der EU-Osterweiterung
und der WTO-Verhandlungen durch eine schrittweise Liberalisierung der Märkte
fortgesetzt werden. Die jetzt in Deutschland geforderte agrarpolitische
Wende würde dieser Tendenz eindeutig entgegenwirken. Sie würde die deutsche
Landwirtschaft weit zurückwerfen und auf Dauer von staatlichen Hilfen
abhängig machen.

6. Die langfristige Abhängigkeit von staatlichen Finanzhilfen wäre gerade
auch im ökologischen Landbau zu erwarten. Eine durch Agrarpolitik
herbeigeführte Ausweitung des ökologischen Landbaus würde die Preise für
Bio-Produkte deutlich unter Druck setzen, so daß ökologisch wirtschaftende
Landwirte ihre Kosten am Markt nicht mehr decken können. Der Staat müßte sie
dann dauerhaft subventionieren, um ihr Überleben zu sichern.

7. Die Kritik an 'Agrarfabriken' und 'industrieller Landwirtschaft' mag
gegenwärtig zwar populär sein, sie verkennt aber die Realitäten. Mit wenigen
Ausnahmen sind die landwirtschaftlichen Betriebe Deutschlands sehr klein und
werden von Familienarbeitskräften bewirtschaftet. In ihrer wirtschaftlichen
Größe und Produktionsweise sind sie bestenfalls mit Handwerksbetrieben, aber
nicht mit industriellen Unternehmen vergleichbar. Es kommt hinzu, daß in
keiner Weise nachgewiesen ist, daß kleine landwirtschaftliche Betriebe die
Umwelt weniger belasten oder gesündere Nahrungsmittel produzieren als
größere Höfe. Soweit sich die Kritik auf moderne Formen der Tierhaltung
richtet, ist sorgfältig abzuwägen, ob Veränderungen erforderlich sind und zu
Verbesserungen für die artgerechte Tierhaltung führen können. Auch in dieser
Hinsicht geht es allerdings nicht primär um die Größe der Tierbestände,
sondern um die Haltungsbedingungen.

8. Einzelbetriebliche Obergrenzen für die agrarpolitische Förderung bringen
keine Vorteile für den Verbraucherschutz, die Umwelt und den Tierschutz. Sie
hemmen jedoch den strukturellen Wandel, führen zu höheren Kosten durch
Ausweichmaßnahmen der Betroffenen (z.B. formelle Betriebsteilungen) und
schwächen damit die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft. Sie lassen sich
auch nicht als einkommenspolitische Maßnahme rechtfertigen, da es keinen
engen Zusammenhang zwischen dem Einkommen und der Betriebsgröße gibt. Soweit
in der Landwirtschaft hohe Einkommen erzielt werden, unterliegen sie der
gleichen Steuerprogression wie die Einkommen anderer Steuerzahler.

9. Wir leben nicht auf einer agrarpolitischen Insel. Unsere Landwirtschaft
muß im EU-Wettbewerb und vermehrt auch im Weltmarktwettbewerb bestehen.
Deshalb ist ein Wandel zu größeren Betriebseinheiten unumgänglich. Damit
kann und muß eine weitere Verbesserung der Umweltverträglichkeit der
Landwirtschaft einhergehen. Der Weg 'klein und öko' führt dagegen in eine
Sackgasse.

Die Erklärung wurde von folgenden Professoren unterstützt (Stand: 16.1.01):

Heinz Ahrens, Halle; Reimar von Alvensleben, Kiel; Siegried Bauer, Giessen;
Tilman Becker, Hohenheim; Wilhelm Brandes, Göttingen; Stephan von
Cramon-Taubadel, Göttingen; Reiner Doluschitz, Hohenheim; Klaus Frohberg,
Halle; Michael Grings, Halle; Werner Grosskopf, Hohenheim; Claus-Henning
Hanf, Kiel; Monika Hartmann, Halle; Arno Henze, Hohenheim; Roland Herrmann,
Giessen; Klaus Hesse, Kiel; Hans-E. Jahnke, Berlin; Karl-Heinz Kappelmann,
Nürtingen; Dieter Kirschke, Berlin; Hans Kögl,
Rostock; Manfred Köhne, Göttingen; Ulrich Koester, Kiel; Rainer Kühl,
Giessen; Friedrich Kuhlmann, Giessen; Thomas Kutsch, Bonn; Cay Langbehn,
Kiel; Dirk Manegold, Braunschweig; Winfried Manig Göttingen; Uwe Jens Nagel,
Berlin; Volker Petersen, Halle; Diethard Rost, Halle; Wilhelm Scheper, Kiel;
Gerhard Schiefer, Bonn; Erich Schmidt, Hannover; Michael Schmitz, Giessen;
Walter Schug, Bonn; Stefan Tangermann, Göttingen; Peter Tillack, Halle;
Peter Wagner, Weihenstephan; Hannes
Weindlmaier, Weihenstephan; Christoph Weiss, Kiel; Harald von Witzke,
Berlin; Rudolf Wolffram, Bonn; Jürgen Zeddies, Hohenheim; Manfred Zeller,
Göttingen;

Weitere Informationen bei:

Berlin: Harald von Witzke, Tel. 030-2093-6233, hvwitzke@rz.hu-berlin.de;
Bonn: Walter Schug, Tel.0228-733663, schug@agp.uni-bonn.de; Braunschweig:
Dirk Manegold, Tel. 0531-596-582, dirk.manegold@fal.de; Giessen: Friedrich
Kuhlmann, Tel. 0641-99-37240, kuhlmann.lbl1@agrar.uni-giessen.de; Göttingen:
Stefan Tangermann, Tel. 0551-394822, stanger@gwdg.de; Halle: Volker
Petersen, Tel. 0345-5522362, petersen@landw.uni-halle.de; Hannover: Erich
Schmidt, Tel. 0511-762-4185, schmidt@ifgb.uni-hannover.de; Hohenheim: Jürgen
Zeddies, Tel: 0711-459-2566 oder 3339, i410b@uni-hohenheim.de; Kiel: Ulrich
Koester, Tel. 0431-880-4436, ukoester@agric-econ.uni-kiel.de; Rostock: Hans
Kögl, Tel. 0381-4982086, hans.koegl@agrarfak.uni-rostock.de; Weihenstephan:
Hannes Weindlmaier, Tel. 049-8161-713540, weindlmaier@bwl.blm.tu-muenchen.de

 


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