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@grar.de Aktuell - 26.09.1999

Fischler zu Agenda 2000 und WTO


Redetext: Dr. Franz Fischler (EU-Kommissar für Landwirtschaft und
Fischerei)
Thema: Das europäische Agrarmodell auf dem Prüfstand der WTO
Anlass: CEA Congress, Verona, 24. September 1999

[Anrede],
ich danke Ihnen für die nun schon fast traditionelle Einladung zum Kongreß
der Europäischen Landwirtschaft. Seit unserem letzten Zusammentreffen war es
möglich auf europäischer Ebene unser Agrarmodell für die nächsten 7 Jahre zu
definieren, nunmehr geht es darum dieses Modell international abzusichern.
Daher ist es nur konsequent, wenn Sie mich gebeten haben, heute das
europäische Agrar-modell auf den Prüfstand der WTO zu stellen.

Ich will zunächst auf die Frage eingehen, warum wir unser Modell überhaupt
diesen Prüfungen unterziehen sollen. Ich werde dann kurz noch einmal die
Besonderheiten unseres Agrarmodells herausstellen und schließlich einen
Ausblick wagen, welche Chancen unser Modell hat, um international akzeptiert
zu werden.

Das europäische Agrarmodell, das wir gemeinsam durch die Agenda 2000
weiterentwickeln wollen, muß jetzt seine Tauglichkeit beweisen. Das gilt
intern für die Fragen der Marktentwicklung, der Einkommenssicherung für die
Landwirte und für die Ansprüche von Seiten des Umweltschutzes und der
ländlichen Entwicklung. Das gilt ebenso extern für die Aufgaben die in einer
erweiterten Union zu lösen sind.

Die erste große Bewährungsprobe steht uns aber demnächst im Rahmen der
WTO-Verhandlungen bevor.

Die erste Frage, warum wir unsere Agrarpolitik einer solchen Prüfung
unterziehen müssen, läßt sich schnell beantworten.

Schon im Marrakesch-Abkommen haben die WTO-Staaten bekanntlich festgelegt,
daß die Fortschritte in der Liberalisierung des Agrarhandels vor dem Jahr
2000 überprüft werden sollen. Anders als die meisten anderen Sektoren steht
die Landwirtschaft damit bereits auf der Tagesordnung für die
Milleniumrunde, unabhängig davon was sonst noch in Seattle auf die Agenda
gesetzt wird.

Im letzten Jahrzehnt haben unsere Landwirtschaft und unsere europäische
Nahrungsmittelindustrie in ganz erheblichem Umfang von den
Weltmarktentwicklungen profitiert, insbesondere bei den weiterverarbeiteten
landwirtschaftlichen Erzeugnissen mit hoher Wertschöpfung. Als zweitgrößter
Agrarexporteur und mit Abstand größter Exporteur von
verarbeiteten Nahrungsmitteln muß daher die EU ein starkes Interesse an
einem gut funktionierenden Welthandel haben. Die WTO-Verhandlungen sind
daher der geeignete Rahmen, um für den Agrarhandel stabile Rahmenbedingungen
und Regeln für einen fairen internationalen Wettbewerb zu schaffen.

Eine solche multi-laterale Vereinbarung erfordert aber im Vorfeld eine
breite Diskussion in Politik und Gesellschaft, um mit einer festen
gemeinsamen europäischen Position in die Verhandlungen gehen zu können. Auf
der politischen Ebene läuft die Vorbereitung schon seit längerem. Wir haben
u. a. bereits unsere Position zur Multifunktionalität und Nachhaltigkeit in
Genf präsentiert und zuletzt wurde unsere Position in Tampere beim
informellen Agrarministertreffen breit diskutiert.

Auch Sie in der COPA und COGECA haben eine Position erarbeitet wofür ich
sehr dankbar bin. Sie werden zudem die Gelegenheit haben, in den beratenden
Ausschüssen das europäische Agrarmodell zu debattieren.

Schließlich plane ich im nächsten Monat ein WTO-Forum mit
Nicht-Regierungs-organisationen durchzuführen, um möglichst viele Argumente
in unsere Vorbereitungen einbeziehen zu können. Auf diesem Forum sollen die
Agrarverbände, die Verarbeiter und zusätzlich auch Vertreter der
Verbraucher, des Handels, der Arbeitnehmer, der Umwelt- und
Tierschutzverbände und der Entwicklungshilfeorganisationen zu Wort kommen.

Wir brauchen solche Veranstaltungen, um uns einem gesellschaftlichen Konsens
zu nähern, damit wir unsere Position in der WTO stärken und die europäischen
Interessen bündeln können. Damit das gelingt, müssen wir aber Klarheit haben
in der Frage:

Was meinen wir mit dem europäischen Agrarmodell?

Unsere Vorstellung vom europäischen Agrarmodell zielt auf eine
wettbewerbsfähige, multifunktionale und nach-haltige Landwirtschaft ab, die
sich über alle Regionen der EU erstreckt. Das heißt, auch in den
benachteiligten Gebieten soll die Land-wirtschaft erhalten werden.

Anders als bei vielen unserer Verhandlungspartner ist die EU-Landwirtschaft
stark diversifiziert und erfüllt durch die agrarische Produktion selbst eine
Reihe von zusätzlichen Aufgaben. Sie ist die Basis und Garantie für unsere
einmaligen Kulturlandschaften und für eine stabile Umwelt. Aufgrund unserer
hohen Bevölkerungsdichte in Europa müssen wir zusammen mit den
Agrarprodukten diese Zusatzleistungen produzieren. Wir können es uns nicht
leisten, Natur und Umwelt auf Reservate zu beschränken.

Mit der Agenda 2000, wie sie in Berlin von den Staats- und Regierungschefs
beschlossen wurde, haben wir weitreichende Rahmenbedingungen geschaffen,
damit dieses europäische Modell der Landwirtschaft auch in Zukunft Bestand
haben kann.

Wir haben erstens die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt durch die Marktreformen
bei Ackerkulturen, Rindfleisch und Wein, bei der Milch haben wir die Weichen
der Reform gestellt.

Wir haben zweitens die Grundlagen für eine diversifizierte und
multi-funktionale Landwirtschaft ausgebaut. Die Produktion von
nachwachsenden Rohstoffen, Umweltleistungen, die Pflege der
Kulturlandschaften und die Erhaltung der Lebensfähigkeit der ländlichen
Regionen sind alles Leistungen, die in Zukunft über die 2. Säule der
Gemeinsamen Agrarpolitik nämlich über die ländliche Entwicklungspolitik
entlohnt werden müssen damit sie auch weiterhin zur Verfügung gestellt
werden.

Drittens wurde die Nachhaltigkeit gestärkt. Umweltelemente finden sich
sowohl in den Marktordnungen als auch bei den Fördermöglichkeiten in der
ländlichen Entwicklung. Zusätzlich spannt die horizontale Verordnung einen
Bogen über die beiden Pfeiler der Gemeinsamen Agrarpolitik.

Lassen Sie mich aber hinzufügen: Der Begriff der Nachhaltigkeit darf nicht
allein auf die umweltbezogene Dimension reduziert werden. Die
Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung besteht vielmehr darin, auch
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und den sozialen Ausgleich zu fördern
und dabei zugleich die Qualität von Natur und Umwelt, sowie das kulturelle
Erbe zu erhalten und zu stärken.

Europäisches Agrarmodell und WTO

Meine Damen und Herren, die entscheidende Frage ist aber, welche Chancen
dieses europäische Modell der Landwirtschaft in den WTO-Verhandlungen hat.

Im Verlauf der Uruguay-Runde wurde viel Zeit und Mühe investiert, um einen
methodischen Rahmen für die Einordnung und Beurteilung der verschiedenen
agrarpolitischen Maßnahmen zu finden. Die neue Runde wird sehr
wahrscheinlich auf diesem Rahmen aufbauen.

Was soll daher aus unserer Sicht auf der Tagesordnung für die nächste
Verhandlungsrunde stehen?

Die Fortführung der wichtigsten Maßnahmen des derzeitigen Überkommens über
die Landwirtschaft. Es geht dabei vor allem um die Beibehaltung des Konzepts
der „blauen" und „grünen" Box, die gewährleisten, daß die am wenigsten
handelsverzerrenden direkten Beihilfen unberührt bleiben.

Wir plädieren für die Erhaltung der besonderen Schutzklausel und die
Rechtssicherheit der
Verhandlungsergebnisse durch eine Erneuerung der Friedensklausel.

Wird die Gemeinschaft alles daran setzen, um für die Gemeinschaftsausfuhren
den Zugang zu den Märkten zu verbessern. Wir werden insbesondere fordern,
daß Ausfuhrkredite generell von der Einhaltung vereinbarter Handelsregeln
abhängig gemacht werden, wie dies im Grundsatz während der Uruguay-Runde
bereits vereinbart wurde.

Wollen wir auch wichtige nicht handelsbezogene Anliegen auf die Tagesordnung
setzen: Hier geht es insbesondere um Erfordernisse wie die multifunktionelle
Rolle der Landwirtschaft zu stärken und so die Lebensfähigkeit der
ländlichen Gebiete zu sichern oder um den Umwelt- oder Tierschutz zu
gewährleisten.

Wird sich die Gemeinschaft dafür einsetzen, daß den berechtigten
Verbraucherinteressen besser Rechnung getragen wird und die WTO nicht zum
Vorwand genommen wird, um Produkte auf den Markt zu bringen, an deren
Sicherheit legitime Zweifel bestehen.

Ich freue mich, daß sich der Agrarministerrat über die Grundsätze bisher
weitgehend einig ist. Ich hoffe aber auch, dass diese Übereinstimmung bis
zum Abschluß der Verhandlungen durchgehalten werden kann. Das wäre bereits
eine gute Voraussetzung für eine starke europäische Position. Die Agenda
2000 Reformen werden dabei, wie in Berlin beschlossen, den Kern unserer
Verhandlungsposition bilden.

Lassen Sie mich auf einige zentrale Punkte noch etwas näher eingehen:

1. Im Bereich der internen Stützung wird die „Green Box" bis heute von
praktisch keinem der Verhandlungspartner in Frage gestellt. Nahezu alle
unsere Maßnahmen zum landwirtschaftlichen Umweltschutz und zur Entwicklung
der ländlichen Räume fallen derzeit in diese Kategorie. Wir haben daher
selbstverständlich ein großes Interesse daran, dass dies auch in Zukunft so
bleibt. Im Hinblick auf die multifunktionale Rolle unserer Landwirtschaft
müssen wir sogar überlegen, ob wir uns nicht für eine Erweiterung der „Green
Box" einsetzen sollten. Tierschutz ist beispielsweise ein Thema, das in der
„Green Box" berücksichtigt werden könnte.

2. In bezug auf die „Blue Box", in die praktisch alle Direktzahlungen
fallen, die wir 1992 im Gegenzug zu den Preissenkungen eingeführt haben,
müssen wir mit scharfem Gegenwind rechnen. Mit der Agenda 2000 haben wir die
damals eingeschlagene Strategie noch vertieft und ausgeweitet. Wir wollen
weniger Preisstützung, aber wir brauchen die neuen Direktzahlungen, um die
Einkommen unserer Landwirte zu sichern. Gleichzeitig sind künftig die
Direktzahlungen an eine Reihe von umweltpolitischen Verpflichtungen
gebunden.

Diese „Blue Box" ist daher ein entscheidendes Element der GAP; das müssen
auch unsere Verhandlungspartner begreifen. Wenn sie dennoch unsere
Direktzahlungen in der „Blue Box" in Frage stellen, müssen sie mit dem
entschiedenen Widerstand der EU rechnen.

Ich habe übrigens mit großem Interesse beobachtet, dass auch die
amerikanische Regierung wieder zunehmend in die direkten Einkommenshilfen
einsteigt. Nachdem schon im vergangenen Jahr 6 Milliarden US-Dollar
zusätzlich ausgegeben wurden, hat man den Landwirten jetzt weitere Zahlungen
in Höhe von 7 Milliarden $ in Aussicht gestellt. Während wir also das
Stützniveau absenken, wird es in den USA, entgegen früheren Behauptungen,
angehoben.

3. Ein Hauptdiskussionspunkt wird die Frage des weiteren Abbaus der
Exportsubventionen werden. Ohne eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik
hätten wir hier für einige Produkte mit großen Problemen rechnen müssen. Ob
uns der Berliner Kompromiß überall die erhoffte Erleichterung bringt, müssen
wir jetzt erst einmal abwarten. In einigen Sektoren haben wir aber jetzt
mehr Spielraum für Zugeständnisse. Über solche Schritte werden wir jedoch
nur nachdenken, wenn klar ist, dass die „Blue Box" erhalten bleibt. Wir
werden auf jeden Fall darauf bestehen, daß auch die Handelswirkungen anderer
Exportmechanismen, wie zum Beispiel von Außenhandelsmonopolen, von
Exportkrediten oder von Nahrungsmittelhilfen genau unter die Lupe genommen
werden.

Mein amerikanischer Kollege Dan Glickman hat sich jüngst der Kritik der
Cairns-Länder gestellt und dabei völlig freie Agrarmärkte als „rein
akademische Veranstaltung" bezeichnet. Die Staatsmonopole in einigen
Cairns-Ländern, zum Beispiel die marketing boards für Weizen in Kanada und
Australien sowie für Milch in Neuseeland zeigen, dass auch hier einige
Fragen geklärt werden müssen. Dem kann ich nur zustimmen.

4. Meine Damen und Herren, die EU hat seit langem klar gemacht, daß sich
eine neue Agrarverhandlungsrunde nicht auf die klassischen
Agrarhandelsthemen beschränken kann. Unsere Landwirte, die
Ernährungsindustrie und die Agrarpolitik müssen sich auf eine Reihe von
neuen Anforderungen der Verbraucher einstellen, die auch auf den Märkten
ihre Wirkung zeigen.

Die Verbraucher haben heutzutage viel weiter gehende Qualitätsvorstellungen.
Sie verlangen außerdem ausreichende Informationen über Zusammensetzung und
Herkunft der Lebensmittel und wenn die Landwirtschaft weiterhin erfolgreich
sein will, muß sie in Europa zukünftig auch Fragen der Ökologie und der
Ethik verstärkt als Qualitätsmerkmale akzeptieren.

Wir müssen uns mit den Bedenken der Verbraucher ernsthaft auseinandersetzen,
nicht nur aus moralischen Gründen, sondern auch, weil sie ökonomisch immer
stärker wirksam werden.

Diese gesellschaftlichen Erwartungen sind daher ein entscheidendes Element
für die Besonderheiten des europäischen Agrarmodells.

In diesem Zusammenhang eine Anmerkung zur Bio- und Gentechnologie. Diese
Technologien bieten gerade im Hinblick auf die Verbesserung der
Qualitätseigenschaften von Nahrungsmitteln ein beeindruckendes Potential.
Wie bei jeder anderen technischen Entwicklung auch, müssen aber die Risiken
aufmerksam untersucht und eingegrenzt werden. Das positive Potential können
wir nur nutzen, wenn Beeinträchtigungen der Gesundheit und der Umwelt
ausgeschlossen werden können. Die Verbesserung der Risikoabschätzung und der
Verbraucherinformation sind deshalb entscheidende Kriterien dafür, ob sich
die grüne Gentechnik ebenso erfolgreich durchsetzt wie die medizinische
Gentechnik. Wir werden deshalb auch weiterhin unserem Vorsorgeprinzip folgen
und dies auch international verteidigen.

Meine Damen und Herren, die EU hat in den letzten Jahren ihre Standards in
den Bereichen Nahrungsmittelsicherheit, Qualität, Umwelt- und Tierschutz
ständig weiterentwickelt. Das führt natürlich zwangsläufig auch zu höheren
Kosten für die Landwirte und damit zu einer Beeinträchtigung der
Wettbewerbsfähigkeit. Es ist also kein neuer Protektionismus, wie viele
unserer Verhandlungspartner, vor allem in den Entwicklungsländern vermuten,
wenn wir eine Berücksichtigung dieser Kosten verlangen.

Für die kommende WTO-Runde müssen wir uns aber entscheiden: Wollen wir die
Zusatzleistungen im Rahmen unserer Agrarpolitik entlohnen oder wollen wir
die Standards absichern, indem wir gewisse handelspolitische Schranken
beibehalten? Beides zusammen wird nicht gehen. Wir können nicht Produkte,
die mit geringeren Standards produziert wurden, mit hohen Zöllen belegen und
gleichzeitig unsere Bauern für unsere höheren Standards entschädigen. Meiner
Meinung nach ist es eine bessere Strategie, das Recht zu erstreiten, die
Leistungen der Landwirtschaft, die über das normale Produzieren hinausgehen,
auch gesondert zu bezahlen.


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einmal betonen:
Die Agenda 2000 Reform ist eine große Anstrengung unsererseits, einen
erfolgreichen Abschluß der kommenden WTO-Runde vorzubereiten. Auch wenn die
Reform einigen noch nicht weit genug geht, ist sie ein entscheidender
Schritt weg von der Agrarprotektion und sie ist kein leichter Schritt für
unsere europäischen Landwirte.

Handelsvereinbarungen waren schon immer ein schwieriges Geschäft und
Jahrhunderte vor uns hat William Shakespeare die damalige Auffassung auf den
Punkt gebracht: „Wohl dreimal soviel Land gäb' ich dem wohlverdienten
Freund, doch wo's auf Handel ankommt, merkt ihr wohl, da zank' ich um ein
Neuntel eines Haares." Meine Damen und Herren, auch wenn die EU Vertreter
sich wohl noch häufiger in die Haare geraten werden, um zu einer gemeinsamen
Verhandlungsposition zu kommen, es sollte heute klar geworden sein, dass wir
mit der Agenda 2000 gut vorbereitet in die nächste WTO-Runde gehen. Daß dann
in den Verhandlungen um ein Neuntel eines Haares gestritten wird, kann auch
zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht ausgeschlossen werden. Wir brauchen
deshalb auch Ihre Unterstützung, um die europäische Position glaubwürdig und
kraftvoll vertreten zu können.

Vielen Dank.

 


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